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ZWEITER TEIL: ERSTES BUCH
Mensch ist mehr. Das sichtbare Zeugnis seiner Seele, das ihrn
nicht fehlen dürfte, ohne daß er aufhörte, Mensch zu sein, ist
einzig das Wort. Auch die Kunst ruht unterm Herzen des
Worts. Sie ist selber Sprache nur des Unaussprechlichen, die
Sprache solang es noch keine Sprache gibt, Sprache der Vor
welt. Der Welt vor dem Offenbarungswunder, die uns als ein
geschichtliches Gleichnis jener Vorwelt dasteht, ist die Kunst
und nicht das Wort die rechte Sprache. Den Elementen des
Alls, die aus den dunkeln Gründen des Nichts heraufsteigen,
ist sie in der Gliederung ihres Wesens die sichtbare Ver
anschaulichung. Aber gegenüber der lebendig strömenden
Wirklichkeit der wirklichen Sprache ist ihre Wirklichkeit als
Kunstwerk selber Gesprochenes, nicht Sprache. Wäre sie
auch hier noch Sprache, so wäre sie Sprache neben der
Sprache, und es kann zwar viele Sprachen geben, aber nur
eine Sprache. Als »Gesprochenes« aber steht sie in allem
andern lebendigen Wirklichen mitteninne, nicht von ihm zu
trennen, ihm zu seiner Vollkommenheit notwendig, Glied unter
seinen Gliedern und als solches erkennbar. Als solches
erkennbar, aber nicht, wie der Idealismus möchte, in ihrer
ganzen Wirklichkeit einzubegreifen in das Verhältnis der Weh
zu ihrem Ursprung und an diesem Verhältnis auszumessen.
Sondern im Gedanken der Schöpfung ergreifen wir nur einen
Teil, nur den Anfang des Kunstwerks. Das Leben ist reicher
als die Welt und ihr Werden; so ist auch die Sprache in ihrer
Einzelgestaltung und ebenso nun auch die Kunst zu reich, als
daß sie ganz aus den Gedanken der Schöpfung erkennbar
würde. Die Weltzeit der Schöpfung ist auch in ihrer Spie
gelung in dem Lebenstag des Kunstwerks nur der — freilich
immerwährende — Anfang.
Nur in einem Punkte wirkt in der bloß »gesprochenen«
Wirklichkeit des Kunstwerks noch der selbständige Sprach-
wert nach, den sein allgemeines Wesen in der stummen Vor
welt angenommen hatte. Während die wirkliche Sprache die
inneren Umkehrungen der in der stummen Vorwelt gewor
denen Elemente und das Heraustreten ihrer einzelnen Stücke