EINLEITUNG
ÜBER DIE MÖGLICHKEIT
DAS ALL ZU ERKENNEN
in philosophosJ
V OM TODE, von der Furcht des Todes, hebt alles Er
kennen des All an. Die Angst des Irdischen abzu
werfen, dem Tod seinen Giftstachel, dem Hades seinen
Pesthauch zu nehmen, des vermißt sich die Philosophie. Alles
Sterbliche lebt in dieser Angst des Todes, jede neue Geburt
mehrt die Angst um einen neuen Grund, denn sie mehrt das
Sterbliche. Ohne Aufhören gebiert Neues der Schoß der un
ermüdlichen Erde, und ein jedes ist dem Tode verfallen, jedes
wartet mit Furcht und Zittern auf den Tag seiner Fahrt ins
Dunkel. Aber die Philosophie leugnet diese Ängste der Erde.
Sie reißt über das Grab, das sich dem Fuß vor jedem Schritt
auftut. Sie läßt den Leib dem Abgrund verfallen sein, aber die
freie Seele flattert darüber hinweg. Daß die Angst des Todes
von solcher Scheidung in Leib und Seele nichts weiß, daß sie
Ich Ich Ich brüllt und von Ableitung der Angst auf einen bloßen
»Leib« nichts hören will — was schert das die Philosophie. Mag
der Mensch sich wie ein Wurm in die Falten der nackten Erde
verkriechen vor den herzischenden Geschossen des blind
unerbittlichen Tods, mag er es da gewaltsam unausweichlich
verspüren, was er sonst nie verspürt: daß sein Ich nur ein Es
wäre, wenn es stürbe, und mag er deshalb mit jedem Schrei,
der noch in seiner Kehle ist, sein Ich ausschreien gegen den
Unerbittlichen, von dem ihm solch unausdenkbare Vernich
tung droht — die Philosophie lächelt zu all dieser Not ihr
leeres Lächeln und weist mit ausgestrecktem Zeigefinger das
Geschöpf, dem die Glieder in Angst um sein Diesseits schlot
tern, auf ein Jenseits hin, von dem es gar nichts wissen will.
Denn der Mensch will ja gar nicht irgend welchen Fesseln
entfliehen; er will bleiben, er will — leben. Die Philosophie,