VOM WUNDER
133
die Bedenken, die seinen älteren Brüdern den Garaus gemacht
haben? Muß nicht auch hier entweder die Philosophie be
sorgen, zur Magd der Theologie erniedert zu werden, oder die
Theologie, von der Philosophie überflüssig gemacht zu sein?
Wie können wir dies gegenseitige Mißtrauen aufheben? Wohl
nicht anders, als indem wir zeigen, wie von beiden Seiten ein
Bedürfnis besteht, das nur die jeweils andere Partei befrie
digen kann. So liegt es ja wirklich. Und hier müssen wir
abermals auf die auffallende Tatsache zurückgreifen, daß im
gleichen historischen Augenblick die Philosophie sich auf dem
Punkt sah, wo ihr kein Schritt mehr weiter zu tun blieb, ja
jeder Versuch, noch weiter zu schreiten, nur zum Sturz ins
Bodenlose werden konnte, und die Theologie sich ihrer bis
her festesten Stütze, des Wunders, plötzlich beraubt fühlte.
Ist diese Gleichzeitigkeit mehr als Zufall — und daß sie das
ist, dafür bürgen eigentlich schon die persönlichen Geschichts
zusammenhänge, die, bisweilen bis zur Personalunion sich
steigernd, zwischen den Trägern der beiden Umschwünge hin
und wieder laufen —, liegt hier also mehr vor als ein Zufall,
so muß eine solche wechselseitige Bedürftigkeit, und damit die
Grundlosigkeit des gegenseitigen Mißtrauens, nachweisbar
sein.
Die Philosophie — wir dürfen uns hier nicht scheuen, schon
gelegentlich Gesagtes wieder aufzunehmen, — hat um 1800
ihre selbstgestellte Aufgabe der denkenden Erkenntnis des
All gelöst; indem sie sich selbst in der Geschichte der Philo
sophie begriffen hat, ist ihr nichts mehr zu begreifen übrig;
auch den Gegensatz zum Wahrheitsgehalt des Glaubens hat
sie, indem sie diesen Gehalt »erzeugte« und als ihre eigene
methodische Wurzel entdeckte, überwunden. So also am
Ziele ihrer sachlichen Aufgabe angelangt, bezeugt sie dies ihr
Am-Ziel-Sein in der von vornherein in ihr angelegten, aber
erst in diesem Augenblick verwirklichungsreifen Errichtung
des eindimensionalen idealistischen Systems. Hier findet die
ser historische Abschlußmoment seine rechte und gemäße
Darstellung. Die Eindimensionalität ist die Form der restlos