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ZWEITER TEIL: EINLEITUNG
wurde sie langsam aber sicher zur historischen Kritik. Und
als solche näherte sie sich nun dem bisher unerschütterten
Glauben an das Wunder.
Die ganze Diskussion über die Wunder, die von Voltaire
ab durch ein ganzes Jahrhundert nicht mehr abreißt, setzt
uns heute in Erstaunen durch ihre fast völlige Ungrundsätz
lichkeit. Die Großtaten der Kritik, Voltaires selbst, Reimarus’
und Lessings, Gibbons, sind immer auf einen ganz bestimmten
Ausschnitt des wunderbaren Geschehens gerichtet; hier wird
die Unglaubwürdigkeit der Überlieferung, die Unzulänglich
keit der bisherigen Gründe für ihre Glaubwürdigkeit, die
Erklärbarkeit dessen, was der Kritik etwa standhielt, durch
natürliche Ursachen, das heißt ohne die Annahme einer vor
hersehbaren und also vorhergesehenen Entwicklung, zu
erweisen gesucht, die allgemeine Möglichkeit des Wunders
aber durchaus in der Schwebe gelassen. Das ist nicht, wie
wir heute zunächst denken, bewußte Halbheit, sondern ehr
liche Ungewißheit. Solange die bezeugten Wunder der Ver
gangenheit nicht mit Sicherheit als ungeschehen nachgewiesen
sind, solange wagt man auch grundsätzlich die Möglichkeit
des Wunders nicht zu bestreiten.
Den Augenblick, wo diese Prüfung im wesentlichen zu
ungunsten der Wunder entschieden scheint, bezeichnet eine
mit Regelmäßigkeit auftretende Übergangserscheinung: die
rationalistische Wegdeutung des Wunders. Sie beginnt in den
späteren Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts und
erreicht in den ersten des neunzehnten ihren Höhepunkt. Bis
dahin hatte man kein Bedürfnis danach verspürt — im Gegen
teil. Bis dahin war wirklich das Wunder des Glaubens
liebstes Kind gewesen. Die rationalistische Fortdeutung des
Wunders ist das Eingeständnis, daß es das nicht mehr ist und
daß sich der Glaube seines Kindes zu schämen beginnt. Nicht
mehr möglichst viel, sondern gerade möglichst wenig Wunder
bares möchte er aufzuweisen haben. Die frühere Stütze
ist zur Last geworden. Die sucht man abzuschütteln. Aber
es ist Zeit, eine neue Stütze zu suchen, wenn die alte bricht.