VOM WUNDER
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Es gibt nicht eine, sondern eine Mehrzahl von Aufklärun
gen, die epochenweise nacheinander dem in die Welt ge
tretenen Glauben das Wissen repräsentieren, mit dem er sich
auseinanderzusetzen hat. Die erste ist die philosophische
Aufklärung der Antike. Die ganze Patristik hat es mit ihr zu
tun. Ihre Bekämpfung des heidnischen Mythos wird in aller
Gemütsruhe übernommen; ihrem Anspruch auf Allwissenheit
wird zunächst widersprochen — was hat der Schüler Grie
chenlands gemein mit dem Schüler des Himmels? —, allmäh
lich aber, wenn auch unter letzten Vorbehalten, schrittweise
Platz gegeben. Was einen Origenes noch zum Ketzer stem
pelte, steht dem, was ein Jahrtausend später Thomas über
Glauben und Wissen lehrte, und was die Kirche von ihm an
nahm, jedenfalls näher als der Lehre der Antithomisten. Nicht
zufällig hat Luther gegen »Aristoteles« gekämpft, wenn er
gegen die mittelalterliche Kirche aufstand. Die von ihm
inaugurierte Epoche hat denn auch in der Renaissance eine
neue Aufklärung zur Seite, die diesen Kampf gegen Aristoteles
von ihrem Standpunkt aus mitkämpft und die sich, nachdem
die philosophischen Nebel ihrer Kindheit sich gelichtet haben,
immer deutlicher als eine naturwissenschaftliche Aufklärung
erweist. Den Kampf gegen das rationale Wissen der Scho
lastik kämpft sie als ungesuchte Bundesgenossin des Glaubens;
was sie, genau wie der Glaube, als das Erbe der Scholastik
übernimmt, ist wesentlich die positive Bewertung der Natur,
die, nach der im Mittelalter gereiften Ansicht, von der Über
natur wohl überholt, nicht aber verleugnet oder verworfen
wurde. Diesem Naturbegriff, wie er sich verdichtet zum Ver
trauen auf die Erfahrung und zur Forderung der eigenen Ver
gewisserung sowohl im Glauben wie im Wissen, überkam
dann die neue »Aufklärung« jener Epoche, die wir insbeson
dere mit diesem Namen zu bezeichnen gewohnt sind. Sie
richtete die Kritik, welche die Aufklärung der Antike gegen
die Träume des Mythos, die der Renaissance gegen-die Ge
spinste der Vernunft gerichtet hatte, nun gegen die Leicht
gläubigkeit der Erfahrung. Als Kritik an der Erfahrung