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ERSTER TEIL: DRITTES BUCE1
seinem Unglück. Im Tragischen verliert das Unglück alle
selbständige Macht und Bedeutung; es gehört zu den Ele
menten der Besonderheit, auf die das Selbst das Siegel seines
Trotzes drückt, dies immer gleiche Siegel — si fractus illa-
batur orbis: Sterbe meine Seele mit den Philistern!
N och vor Simsons und Sauls tragischem Trotz hat das
älteste Vorderasien in jener Gestalt, die an der Grenze
des Göttlichen und Menschlichen steht, in Gilgamesch, den
Urtyp des tragischen Helden aufgestellt. Gilgameschs Lebens
kurve führt durch die drei festen Punkte: der Anfang ist das
Erwachen des menschlichen Selbst in der Begegnung mit Eros;
es folgt die gerade Linie der tatenreichen Fahrt, die jäh ab
bricht in dem letzten und entscheidenden Ereignis, der Be
gegnung mit Thanatos. Diese ist hier gewaltig vergegenständ
licht, indem es zunächst nicht unmittelbar der eigene Tod ist,
der dem Helden entgegentritt, sondern der Tod des Freundes;
aber er erfährt an ihm die Furcht des Todes überhaupt. Die
Zunge versagt ihm in dieser Begegnung den Dienst; er »kann
nicht schreien, kann nicht schweigen«, aber er unterwirft sich
auch nicht; sein ganzes Dasein wird zum Bestehen dieser
einen Begegnung; sein Leben bekommt den Tod, den eigenen
Tod, den er im Tode des Freunds erblickt hat, zum einzigen
Inhalt. Es ist gleichgültig, daß ihn zuletzt der Tod auch noch
selber holt; das Eigentliche liegt da schon hinter ihm; der
Tod, der eigne Tod ist beherrschendes Ereignis seines Lebens
geworden; er selbst ist in die Sphäre getreten, wo die Welt
mit ihrem Wechsel von Schreien und Schweigen den Men
schen anfremdet, in die Sphäre der reinen erhabenen Stumm
heit, des Selbst.
Denn das ist das Merkzeichen des Selbst, das Siegel seiner
Größe wie auch das Mal seiner Schwäche: es schweigt. Der
tragische Held hat nur eine Sprache, die ihm vollkommen
entspricht: eben das Schweigen. So ist es von Anfang an.
Das Tragische hat sich gerade deshalb die Kunstform des
Dramas geschaffen, um das Schweigen darstellen zu können.