Full text: Kinder- und Hausmärchen

67 
wurden Neid und Mißgunst in ihrem Herzen rege und zwick 
ten und nagten es, und sie hatte keinen andern Gedanken, als 
wie sie die Beiden doch noch ins Unglück bringen könnte. Ihre 
rechte Tochter, die häßlich war wie die Nacht und nur ein 
Äuge hatte, die machte ihr Vorwürfe und sprach: „Eine Kö 
nigin zu werden, das Glück hätte mir gebührt!" „Sey nur 
still, sagte die Alte und sprach sie zufrieden, wenn's Zeit ist, 
will ich schon bei der Hand seyn." Als nun die Zeit heran 
gerückt war und die Königin ein schönes Knabchen zur Welt 
gebracht hatte, und der König gerade auf der Jagd war, da 
nahm die alte Hexe die Gestalt der Kammerfrau an, trat Ln 
die Stube, wo die Königin lag, und sprach zu der Kranken: 
„Kommt, das Bad ist fertig, das soll euch wohlthun und 
stärken, geschwind, eh' es kalt wird." Ihre Tochter war auch 
bei der Hand und sie trugen die schwache Königin in die Bad- 
stube, legten sie hinein, giengen schnell fort und schloffen die 
Thüre ab. In der Badstube aber hatten sie ein rechtes Höl 
lenfeuer angemacht, daß die schöne junge Königin bald erstik- 
ken mußte. 
Als das geschehen war, nahm die Alte ihre Tochter und 
setzte ihr eine Haube auf, und legte sie ins Bett an der KönL* 
§r'n Stelle. Sie gab ihr auch die Gestalt und das Ansehen 
der Königin, nur das verlorene Auge konnte sie ihr nicht wie» 
der geben; damit aber der König nichts merken sollte, mußte 
E 2
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.