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Schwesterlein, laß mich herein!" Da gieng die Thüre auf
und der König trat hinein, und da stand ein Mädchen, das
war so schön, wie er noch keins gesehen hatte. Das Mädchen
aber war erschrocken, daß nicht sein Rehlein, sondern ein Kö
nig mit goldener Krone hereingekommen war. Aber der Kö
nig sah es freundlich an, reichte ihm die Hand und sprach:
„Willst du mit mir gehen auf mein Schloß und meine liebe
Frau werden?" „Ach ja, antwortete das Mädchen, aber
das Rehchen muß auch mit, das verlaß ich nicht." Sprach
der König: „Es soll bei dir bleiben, so lange du lebst und
soll ihm an nichts fehlen." Indem kam es herein gesprun
gen, da band es das Schwesterchen wieder an das Binsenseil,
nahm es selbst in die Hand, und gieng mit ihm zum Waldhäus
chen hinaus.
Der König führte das schöne Mädchen in sein Schloß, wo
dreHochzeit mit großer Pracht gefeiert wurde, und war es nun
die Frau Königin und lebten sie lange Zeit vergnügt zusam
men; das Rehlein ward gehegt und gepflegt und sprang in
dem Schloßgarten herum. Die böse Stiefmutter aber, um de
rentwillen die Kinder in die Welt hinein gegangen waren, die
meinte, nicht anders, als Schwesterchen wäre von den wilden
Thieren im Walde zerrissen worden und Brüderchen als ein
Rehkalb von den Jägern todt geschossen. Als sie nun hörte,
Laß sie so glücklich waren, und es ihnen so wohl gieng, da