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neben tym, und sprach „Zweläuglein, was weinst du?" „Soll
ich nicht weinen, antwortete es, die Ziege, die mir jeden Lag
auf euer Sprüchlein den Lisch so schön deckte, ist mir von mei
ner Mutter todtgestochen; nun muß ich wieder Hunger und
Kummer leiden." Die weise Frau sprach: „ Zweiäuglein, ich
will dir einen guten Rath geben, bitt deine Schwestern, daß
sie dir das Eingeweide von der geschlachteten Ziege geben, und
vergrabs vor der Hausthüre, so wirds dein Glück seyn." Da
verschwand sie, und Zweiäuglein gieng heim und sprach zu den
Schwestern: „liebe Schwestern, gebt mir doch etwas von mei
ner Ziege, ich verlange nichts Gutes, gebt mir nur das Ein
geweide." Da lachten sie und sprachen: „das können wir
dir wohl geben, wenn du weiter nichts willst." Und Zwei-
äuglein nahm das Eingeweide, und vergrubs Abends Ln aller
Stille nach dem Rathe der weisen Frau vor die Haußthüre.
Am andern Morgen, als sie insgesammt erwachten und vor
die Hausthüre traten, so stand da ein wunderbarer, prächti
ger Baum, der hatte Blätter von Silber, und Früchte von
Gold hiengen dazwischen, daß wohl nichts schöneres und köst
licheres auf der Welt zu sehen war. Sie wußten aber nicht,
wie der Baum auf einmal Ln der Nacht gewachsen war, nur
Zweiäuglein merkte es, daß er aus den Eingeweiden der Ziege
aufgesproßt war, denn er stand gerade da, wo es sie hinbe-