274
42.
Der Jude im Dorn.
Es war einmal ein reicher Mann, der hatte einen Knecht,
der biente ihm fleißig und redlich, war alle Morgen der erste
aus dem Bett, und Abends der letzte hinein, und wenns eine
saure Arbeit gab, wo keiner anpacken wollte, so stellte er sich
immer zuerst daran. Dabei klagte er nicht, sondern war mit
allem zufrieden, und immer guter Dinge. Als sein Jahr her»
um war, gab ihm der Herr keinen Lohn, und dachte, es ist
das gescheidtste, so spare ich etwas, und der geht nicht weg,
sondern bleibt hübsch im Dienst. Der Knecht schwieg auch
still, that das zweite Jahr, wie das erste seine Arbeit, und
als er am Ende desselben abermals keinen Lohn bekam, ließ
er sichs gefallen, und blieb noch langer. Als endlich daS dritte
Jahr herum war, bedachte sich der Herr, griff in die Tasche
holte aber doch nichts heraus. Da sieng der Knecht endlich an
und sprach: „Herr, ich habe euch drei Jahre ehrlich gedient/
seyd so gut und gebt mir, was mir von Rechtswegen zukommt,
ich wollte fort, und mich gerne weiter in der Welt umsehen."
Da antwortete der Geizhals: „ja, mein lieber Knecht, d»
hast mir unverdrossen gedient, dafür sollst du mildiglich beloh
net werden!" griff abermals in die Lasche, und zählte dem