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essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 72
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solches muster schwebt dem eigenthümlicheren Verfasser
des Rudlieb vor. hat mail sich einmal mit seiner selt
samen, aber nicht ungewandten handhabung des lateins
vertraut gemacht, so wird dem naiven, behenden und
wirklich dichterischen vortrage der begebenheiten volles
recht widerfahren. Es ist kein gewöhnliches talent,
was sich hier allenthalben kund gibt und durch die Un
bequemheit einer fremden spräche bricht; so viel feines
gefühl, solches geschick eine versclilungne sage zu er
greifen , durchzuführen und auszustatten hätle man um
diese zeit nicht erwartet, sie ist, wenn ein förmliches
deutsches lied noch vorlag (was viel zweifelhafterschei
nen wird als beim Wallharius) von dem dichter wirk
lich in sich aufgenommen, verarbeitet und bereichert
worden, während im Wallharius eher eine Schwächung
der deutschen quelle angenommen werden mufs. Fro-
munds kühnere darstellung braucht ihre gleichnisse nicht
aus einem classiker zu borgen, sondern kann sie selbst
erfinden; sie verfällt dafür schon auf ausmahlungen,
die dem gang der fabel eintrag thun aber durch sich
gefallen. Willkommne einzelheiten dieses gedichts wer
den noch lange auszubeuten und zu erläutern sein; ich
beschränke mich hier auf nachlese einiger bemerkun-
gen. Wie lebhaft sind die vergleiche des laufes oder
tanzes mit dem flug der schnellen schwalbe und dem
kreisen des falken (1, 51. 8, 49.) Von den vertrauten
und täglichen dienern des königs wird 3, 197 gesagt:
veluti glandes semper flaut regis ad aures, wie unter
dem waldbaum das geräusch der eichein bei jedem luft-
zug vernehmbar ist, schwebt um des königs obren der
dienenden liöflinge gefliisler *). Mein bescheidner freund,
*) ich wüste nicht dafs ohrringe in eichelform getragen wor
den seien, woran sich sonst denken liefse.