© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 21
III. genns. grammatijches. abjtracterjubft. 537
Der gebrauch des inf. als eines neulralen, die ftrengfle
abftracdon aus drücken den fubftantivs ift in der heutigen
fprache fo verbreitet, daß es kaum einiger beifpiele
bedürfen wird. Wir fagen täglich: das geben, das
nehmen, das lefen, das denken, das hören und feilen,
das herkommen, das eßen, das trinken u. f. w.; die
abftracdon diefer inf. mindert lieh aber in dem grad,
als ihnen keine andere, ihrem begrif zunächft kommende
fubftantivbildung an der feite fleht. So entfpricht z. b.
unfer das verlangen, das befireben fchon mehr dem
lat. defideriuin, fludium, als dem kälteren inf. defiderare,
ltudere, eben weil uns ein wärmeres fubft. die verlange
(wie inhd. diu blange, vorhin f. 483) jetzt verfagt und
die verlangung ungebräuchlich ift, obwohl wir noch die
beftrebung fetzen können. Ja, der infin. das leben hat
lieh ganz zu dem begrif von vita erhoben (f. 389), weil
das ältere lip (vita) abgeftorben und ein dem goth. fein,
libäins (deffen verbalbedeutung dem inf. am nächiten
kommt) entfprechendes fubft. im hochd. dialect nie ver
hiebt worden ift. Etwas ähnliches gilt von dem fubft.
das wefen für die wefenheit, elfenz, exillenz, worin
der foult völlig erlofchene inf. wefen fortdauert, daher
uns auch das fein, das nicht fein jetzt abftracter ift,
als das wefen. Selbft urfprünglich lofe partikeln fch lie
ßen lieh uneigentlich an folche fubftantivifchen inf., z. b.
das beifein, das dafein, gen. des dafeins.
Ich habe nun auch die neutralität des inf. in den
alleren fprachen durch beifpiele darzuthun. Mhd. ein ' fr
gehrummen Parc. 17050; ein riten ich liinne tuo, Karl
39 a ; unterwinden mich da? lerte Parc. 4358; jener^ vrd-
gen Parc. 5101; zweier haude lachen MS. 2, 39 a ; dag
riten nianiger ltrag;e. Gudr. 2336; da5 eren Iw. 7640; da%
erfte fingen MS. 2, l a ; da^ f riten lin Wh. 2, l93 a ; da%
mllekomen, da^ Jeheiden aingb. 33 b , da% wefen bi ir
Wigal. 730; des we/ens da Wigal. 9772; erbarmen,
dir miiezen alle lügende nigen. aingb. I4 a ; diu lünne ir
lieht ez fchinen böt Nib. 1564, 2 ; hie wart vil michel
gaben über velt getan Nib. 1595,2; da wart yil mi-
chel fli^en gelän Nib. 1593,4; befonders überzeugend
lind die feilneren belege, welche den pl. neulr. darbieten:
zwei bliuwen Parc. 8808, wie wir heute lagen: zwei
leben, zwei fchreiben, zwei verlangen in allen fällen,
wo die abftraction gemindert ift, unzuläßig hingegen
wäre: zwei denken, zwei hören und dergleichen. Auch