Full text: Kinder- und Haus-Märchen ([1])

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still und sparsam und wenn er daran darbte, 
wie es seinen drei lieben Töchtern bei den wil 
den Thieren ergehen mögte, die sie vielleicht 
schon aufgefressen hätten, verging ihm alle Lust. 
Die Königin aber wollt sich gar nicht trö 
sten lassen und weinte mehr Thränen um ihre 
Tochter, als der Wallfisch Perlen dafür gege 
ben hatte. Endlich wardS ein wenig stiller, und 
nach einiger Zeit ward sie wieder ganz vergnügt,, 
denn sie brachte einen schönen Knaben zur Welt 
und weil Gott das Kind so unerwartet geschenkt 
hatte, ward es Reinald, das Wunderkind, ge 
nannt. Der Knabe ward groß und stark, und 
die Königin erzählte ihm oft von seinen drei 
Schwestern, die in dem Zauberwald von drei 
Thieren gefangen gehalten würden. Als er 
sechszehn Jahr alt war verlangte er von dem 
König Rüstung und Schwert, und als er es nun 
erhalten, wollte er auf Abentheuer ausgehen, ge 
segnete seine Eltern, und zog fort. 
Er zog aber geradezu nach dem Zauberwald 
und hatte nichts anders im Sinn als seine 
Schwestern zu suchen. Anfangs irrte er lange 
in dem großen Walde herum, ohne einem Men 
schen oder einem Thiere zu begegnen. Nach 
drei Tagen aber sah er vor einer Höhle eine 
junge Frau sitzen und mit einem jungen Bären 
spielen: einen andern, ganz jungen, hatte sie 
auf ihrem Schooß liegen: Reinald dachte, da 
ist gewiß meine ältste Schwester, ließ sein Pferd 
zurück, und ging auf sie zu: „liebste Schwester, 
ich bi» dein Bruder Reinald und bin gekom 
men dich zu besuchen." Die Prinzessin sah ihn 
an, und da er ganz ihrem Vater glich, zweifelte 
sie nicht an seinen Worten erschrack und sprach: 
ach liebster Bruder, eil und lauf fort, was du 
kannst, wenn dir dein Leben lieb ist, kommt 
mein Mann, der Bär, nach Haus und findet 
dich, so frißt er dich ohne Barmherzigkeit." 
Reinald aber sprach: ich fürchte mich nicht und 
weiche auch nicht von dir, bis ich weiß, wie es 
um dich steht. Wie die Prinzessin sah, daß ec 
nicht zu bewegen war, führte sie ihn in ihre 
Höle, die war finster und wie eine Bärenwoh 
nung; auf der einen Seite lag ein Haufen Laub 
und Heu, worauf der Alte und seine Jungen 
schliefen, aber auf der andern Seite stand ein 
prächtiges Bett, von rothem Zeug mit Gold, 
das gehörte der Prinzessin. Unter das Bett 
hieß sie ihn kriechen, und reichte ihm etwas hin 
unter zu essen. Es dauerte nicht lang so kam 
der Bär nach Haus: „ich wittre, wittre Men 
schenfleisch uud wollte seinen dicken Kopf unter 
das Bett stecken. Die Prinzessin aber rief:" 
sey ruhig, wer soll hier hinein kommen! „Ich 
hab ein Pferd im Wald gefunden und gefressen " 
brummte er, und hatte noch eine blutige Schnau 
ze davon, j„dazu gehört ein Mensch ynd den
	        
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