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still und sparsam und wenn er daran darbte,
wie es seinen drei lieben Töchtern bei den wil
den Thieren ergehen mögte, die sie vielleicht
schon aufgefressen hätten, verging ihm alle Lust.
Die Königin aber wollt sich gar nicht trö
sten lassen und weinte mehr Thränen um ihre
Tochter, als der Wallfisch Perlen dafür gege
ben hatte. Endlich wardS ein wenig stiller, und
nach einiger Zeit ward sie wieder ganz vergnügt,,
denn sie brachte einen schönen Knaben zur Welt
und weil Gott das Kind so unerwartet geschenkt
hatte, ward es Reinald, das Wunderkind, ge
nannt. Der Knabe ward groß und stark, und
die Königin erzählte ihm oft von seinen drei
Schwestern, die in dem Zauberwald von drei
Thieren gefangen gehalten würden. Als er
sechszehn Jahr alt war verlangte er von dem
König Rüstung und Schwert, und als er es nun
erhalten, wollte er auf Abentheuer ausgehen, ge
segnete seine Eltern, und zog fort.
Er zog aber geradezu nach dem Zauberwald
und hatte nichts anders im Sinn als seine
Schwestern zu suchen. Anfangs irrte er lange
in dem großen Walde herum, ohne einem Men
schen oder einem Thiere zu begegnen. Nach
drei Tagen aber sah er vor einer Höhle eine
junge Frau sitzen und mit einem jungen Bären
spielen: einen andern, ganz jungen, hatte sie
auf ihrem Schooß liegen: Reinald dachte, da
ist gewiß meine ältste Schwester, ließ sein Pferd
zurück, und ging auf sie zu: „liebste Schwester,
ich bi» dein Bruder Reinald und bin gekom
men dich zu besuchen." Die Prinzessin sah ihn
an, und da er ganz ihrem Vater glich, zweifelte
sie nicht an seinen Worten erschrack und sprach:
ach liebster Bruder, eil und lauf fort, was du
kannst, wenn dir dein Leben lieb ist, kommt
mein Mann, der Bär, nach Haus und findet
dich, so frißt er dich ohne Barmherzigkeit."
Reinald aber sprach: ich fürchte mich nicht und
weiche auch nicht von dir, bis ich weiß, wie es
um dich steht. Wie die Prinzessin sah, daß ec
nicht zu bewegen war, führte sie ihn in ihre
Höle, die war finster und wie eine Bärenwoh
nung; auf der einen Seite lag ein Haufen Laub
und Heu, worauf der Alte und seine Jungen
schliefen, aber auf der andern Seite stand ein
prächtiges Bett, von rothem Zeug mit Gold,
das gehörte der Prinzessin. Unter das Bett
hieß sie ihn kriechen, und reichte ihm etwas hin
unter zu essen. Es dauerte nicht lang so kam
der Bär nach Haus: „ich wittre, wittre Men
schenfleisch uud wollte seinen dicken Kopf unter
das Bett stecken. Die Prinzessin aber rief:"
sey ruhig, wer soll hier hinein kommen! „Ich
hab ein Pferd im Wald gefunden und gefressen "
brummte er, und hatte noch eine blutige Schnau
ze davon, j„dazu gehört ein Mensch ynd den