Full text: Casselische Polizey- und Commerzien-Zeitung (1820, [3])

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die ewige Vorsehung fest an einander schmiedete. 
Was der Mensch im wachenden Zustande gewrnnt, 
verliert er oft im Schlafe; bie Vortheile, die er 
zu Gunsten seiner körperlichen und geistigen Ge 
sundheit am Tage sicherwirbt, büßt er durch manche 
verkehrte Lebensregel des Nachts wieder ein. Wir 
wollen hier nur eine verkehrte Gewohnheit rügen; 
sie betrifft die materielle Einrichtung unsers 
Nachtlagers. Die Vortheile die das Seegras 
vor allem übrigen üblichen Material zur Füllung 
von Betten, Matratzen uud Kopspfühlen gewährt, 
sind einleuchtend; sie beruhen hauptsächlich auf fol 
genden Momenten. Erstlich: das Seegras gewährt 
im Sommer ein kühles, im Winter ein warmes 
Lager. Wie beschwerlich das Schlafen auf Federn 
und Eldrrdnnen während der heißen Iahrszeit Kin 
dern, kränklichen, korpulenten und reitzbaren, zu 
hitzigen Rheumatismen und Congestionen geneigten 
Personen fällt, weiß ein Jeder, der in eine dieser 
Classen gehört und dennoch in der Treibhauswärme 
weicher Federbetten seine besten Lebenskräfte ver 
schwitzen muß. Zweitens: das Seegras ist wohl 
feiler als Pferdehaar und als Federn. Es kann 
daher oft, wenigstens jährlich, ohne bedeutenden 
Kostenaufwand erneuert werden; etwas, welches 
zur Beförderung und Erhaltung von Reinlichkeit 
und Gesundheit sehr vieles beiträgt. Drittens: 
das Seegras widersteh der Feuchtigkeit, der Nässe 
und oer thierischen Auödünsiungsmaterie. Es wi 
dersteht mithin auch Viertens: der Einwirkung 
eines jeglichen Krankheits- oder Ansteckungsstoffes. 
Und diese Eigenschaft würde schon dem Seegras« 
vor jedem andern Material den Vorzug einräumen, 
auch wenn ihm alle übrigen Vortheile abgingen, 
auch wenn es eben so viel oder gar noch weit mehr 
kostete, als Pferdehaar oder Federn. Wir wagen 
nicht zu viel bei der Behauptung, daß fast alle 
Krankheiten mehr oder weniger an - 
steckender Natur sind. In der Eigenthüm 
lichkeit der Krankheit ist also das Vermögen sich 
mitzutheilen, wie in dem belebten Saamenkorn d?e 
schlummernde Vegetationskraft, das Vermögen sich 
auszubreiten, zu suchen. Es fehlt bei dem Einen 
wie vei dem Andern also nur noch an einer ent 
wickelnden Potenz, an einer Gelegenheitsursache, 
um nnt Gaubius zu sprechen, an Trägern, Leitern 
(Conductoren anders gesagt) der für Mittheilung 
empfänglichen Krar.kheitsmatcrie. Zu diesen Trä 
gern des Ansteckungsstoffes gehören vorzüglich: die 
atmvspbänsche Luft, Kleider, Bettzeug und Alles, 
was mit dem lebenden thierischen Körper in un 
mittelbare Berührung kömmt. Aber die Atmosphäre 
ändert und entwischt mit jedem Wrgenblicke die gü 
tige Natur; Kleidungsstücke werben drch früh oder 
spät unbrauchbar, zerreißen. zu andern Anecken 
benutzt; Betten hingegen, Matratzen und Polster 
jeglrcher Art, weit weniger noch als Kleidungs- 
-ückr, oft gar nicht, oder doch nicht unmittelbar der 7 
Einwirkung der freien reinigenden Austenluft aus 
gesetzt, seltener als jene benutzt und deshalb auch 
weit langsamer abgenutzt, bleiben das Erbtheil 
ganzer Generationen; und der in ihnen verborgene, 
immer mehr sich entwickelnde, mit andern Schäd 
lichkeiten sich vermischende, ein Gift eigener Art 
darstellende Krankhertsstoff, pflanzt sich vom Vater 
auf den Sohn, auf den Enkel, auf die Nachwelt 
fort. Gletchartlge (homogene) Substanzen stehen 
mit einander im engen Rapport, die Wechselwir 
kung, der gegenseitige Einfluß, welchen sie auf 
einander ausüben, erleichtert und befördert die An 
ziehungskraft (möchten wir es wohl nennen) thie 
rischer Materien. Die eigenthümliche Struktur, 
der lockere oder festere Zusammenhang des anzie 
henden Körpers bestimmt (modificirt) die stärkere 
oder geringere Anziehung, (Affinität, besser gesagt). 
So nimmt z. B. Pfervehaar nicht so leicht den 
Krankheitöstoff auf als Federn; thierische Wolle ist 
der Schwängerung mit thierischer Ansteckungsma 
terie weit-mehr unterworfen, als Baumwolle; alle 
diese Substanzen jedoch haben bas unter sich gemein, 
daß sie, die eine mehr, die andere weniger, die 
eine augenblicklich fast, die andere allmählig erst, 
den Krankheitsstoff einsaugen, in sich aufbewahren 
und ihn unter Begünstigung eines dazu erforder 
lichen Wärmegrads, thierischen Körpern wiederum 
mittheilen. Anch die reinlichst erhaltenen Betterr 
sind nicht vor der Gefahr einer allmähligen Jnfici- 
rung, einer nur gar zu erklärbaren Impregnation 
mit Krankheits- und krankhafter Auödünstungs- 
Materie gesichert. Reinliche Personen find nicht 
immer gesund; ein Bett das viele Jahre hindurch 
von Mehreren benutzt wird, nimmt natürlicher 
weise die während dieses Zeitraums statt gefundene 
Schwängerung mit so mancher Scharfe in sich auf. 
Fieber aller Art, besonders Faul- und Nervensie- 
ber, Schwindsucht, Krebs, Krätze, jegliche Aus 
schlagskrankheit, Ruhr , jede epidemisch herrschende 
Krankheit entwickelt eine größere oder geringere 
Quantität eigenthümlicher (specifischer) Krankheits- 
Materie. Der gebundene Ansteckunqsstoff, durch 
die Brttwärme und die sich aus dem krankhaft affi- 
eirtrn Körper entwickelnde thierische Wärme frei 
gemacht, hat keine größere Wahlverwandfchaft, 
als eben die thierische Substanz, womit unsere 
Betten und Matratzen in der Regel gefüllt sind. 
Man kann wohl schwerlich (vorausgesetzt auch, baff 
der Gebrauch von Federbetten an sich nicht schwä 
chend und ungesund wäre) fordern, daß Jeder säe 
sich sein eignes Bett habe und lebenslänglich behalte; 
noch übertriebener wäre die an sich gerechte Forde 
rung, daß man nach jeder bedeutenden Krankheit 
em neues Bett sich anschaffen oder daS alte auf eine 
fo kostbare als umständliche, und mit dem allere, 
nicht einmal genügende Art reinigen und erneuerte 
lassen solle. Es ist in der That uneeklärbar, warum 
civilisirte Menschen diesen Punct der Reinlichkeit
	        

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