ihr Bewußtsein und ihr praktisches Handeln gemacht; die angestrebte
kritische Handlungsfähigkeit müßte notwendigerweise verfehlt werden.
Dies bedeutet, daß das Kasseler Kernstudium nur als eine Rahmenkon-
zeption für eine immer neu einzuholende, kritisch zu reflektierende und
konkret erst auszuarbeitende Studien- und Berufspraxis verstanden wer-
den darf. Der Freiraum für die Eigenaktivität der Betroffenen sowie
die ständige Überprüfung und inhaltliche Revision des Konzepts sind für
das Kernstud ium konstitutiv.
Mit der Entwicklung der Kernstudienordnung bricht die bis dahin latent
gebliebene hochschulinterne Kontroverse über die wissenschaftliche
Orientierung der Kasseler Stufenlehrerausbildung offen aus. Eine Reihe
der in den Fächern angesiedelten Fachdidaktiken fühlen sich, wie ihre
Vertreter in einem Brief an die Gründungspräsidentin ausdrücken 32,
durch den Entwurf "majorisiert", "bevormundet" und vom "Herrschafts-
anspruch bestimmter Wissenschaften" bedroht. Im einzelnen wird an
der Kernstudienordnung kritisiert, daß sie einseitig durch ideologische
Positionen bestimmt sei, das Lehrerstudium auf die gese1lschaftpo1iti-
sche Schulung von Sozialdiagnostikern und -the rapeuten ve rkürze und in
ihrem "kritisch-polemisierenden Zugriff auf Gesellschaft und Umwelt"
anthropologische Momente verfehle, wie etwa die Personalität und Spon-
taneität von Heranwachsenden, die konstitutionellen und bio-physischen
Grundlagen im Entw icklungsprozeß und "Kategorien wie Freude, Humor,
Zustimmung, Gelassenheit". Insgesamt wurde die Sorge artikuliert,
daß der Kernstudienentwurf eine Verbindung "mit dem fachwissenschaft-
lichen und fachdidaktischen Studium sowie der berufspraktischen Phase
unmöglich macht".
In ihrer Antwort heben die Kernstudien-Verteter zunächst hervor 33,
daß die Vorwürfe einseitiger Ideologisierung und der Vernachlässigung
anthropologischer Aspekte auffällig der CDU-Kritik an den Rahmen-
richtlinien Gesellschaftslehre glichen. Dadurch entstehe die Gefahr, daß
bei Dritten gegen das erziehungswissenschaftliche Hochschulstudium
der Lehrer von vornherein vorurteilshafte Affekte mobilisiert wür-
den. Auf die Einwände selbst wurde entgegnet, daß die Kritiker übersä-
hen, daß das zentrale Anliegen der Kernstudienordnung gerade darin be-
stehe, künftige Lehrer instandzusetzen, Heranwachsenden dabei zu hel-
fen, mit ideologischen Denkinhalten kritisch umzugehen statt ihnen wehr-
los ausgeliefert zu sein. Deshalb sei die "psychologische und soziologi-
sche Kritik ideologischer Haltungen" notwendig ein zentraler Teil der
Lehrerausbildung. Ein gesellschaftskritischer Standpunkt könne sehr
wohl wissenschaftlich begründet sein, während eine sozialkritisch ab-
stinente oder harmonistische Haltung nur scheinbar "ideologiefrei" sei.
Die von den Kritikern genannten Momente einer individuell befriedigen-
den Lebenspraxis würden von den Kernstudienvertretern unbedingt be-
jaht. Es müsse jedoch gesehen werden, daß die Entwicklung von Lebens-
freude und Spontaneität nicht durch das Aufstellen von Sollforde rungen
an Heranwachsende erreicht werden könne. Anzustreben sei vielmehr -