Full text: Kreis Cassel-Stadt : Text, Teil 2 (6)

Noch eine Reihe anderer Räume des Hauses, in dem offenbar die Raumbestimmung von Zeit zu Zeit 
wechselte, ist bekannt, ohne daß es möglich wäre, in jedem Falle die Lage mit Sicherheit anzugeben. Bis 
zur französischen Okkupation befanden sich im Rathause das städtische Archiv, die Stadtrepositur, die Kämmerei, 
die Steuerstube und das bürgerliche Gefängnis. Eine Obereinnehmerstube wird 1622, eine Audienzstube 1661 
genannt} Das Archiv lag an der Nordseite in der Nähe des Treppenturmes. ln seinem Gewölbe wurden 
nicht nur die städtischen Urkunden und Akten, sondern auch das Silbergeschirr aufbewahrt. Auch etliche 
Kunstwerke befanden sich dort, so das Leiden Christi, aus Elfenbein geschnitzt, und ein Bildnis des Heilands, 
aus Messing gestochen und in ein Portal eingefaßt. Ein ähnlicher Raum, gleichfalls an der Nordseite gelegen, 
diente zeitweise als „Kleine Schirne" für das bessere Fleisch. Auch eine kleine Rüstkammer besaß die Stadt 
in ihrem Rathause für die Bewaffnung der Knechte, die sie dem Landgrafen unter eigenem Banner ins Feld 
mitgab. An diesen Waffenraum stieß der Bürgergehorsam. Er bestand aus zwei getrennten Gelassen, deren 
ungleiche Bewertung in dem Spottnamen sich kundtut, mit denen der Volkswitz die unbeliebten, aber im 
Ganzen wohl harmlosen Gewahrsame belegte. Der strengere Arrest hieß die „Neue Welt", der leichtere die 
„Goldkammer? Nach Errichtung der Bürgergarde 1831 wurde die Hauptwache dieses Korps zunächst in 
das Rathaus verlegt und die Goldkammer zum Gefängnis für die Bürgergardisten bestimmt, die sich Vergehen 
im Dienste hatten zu Schulden kommen lassen. Über der Wage ist die „Kornleube" zu suchen, ein Speicher, 
auf dem die Stadt, wenn Hungersnot oder Krieg drohte, ihre eingekauften Früchte lagerte? Daß die Stadt 
ihr Rathaus nicht ausschließlich für ihre eigenen Zwecke benutze, sondern „zuweilen einen Theil desselben 
zu einem andern Gebrauch auf eine Zeitlang herzugeben" pflege, erwähnt Schminke} indem er einen kultur- 
geschichtlich bemerkenswerten Beleg hinzufügt. „Im Jahr 1647 wurden daselbst auf Anordnung der Frau 
Landgräfin Amelia Elisabeth verschiedene Predigten von der wirklichen Erscheinung des Herrn Messias im 
Fleisch an die aus dem Lande versammelte Judenschaft von Justus Soldan gehalten, welche hernach 1650 in 4to 
im Druck erschienen sind." Eine andere Benutzung des Gebäudes für religiöse Zwecke ist zum Jahre 1757 
überliefert, als „die Franzosen in Cassel auf dem Rathause ihren Gottesdienst abgehalten" haben? 
Für die Gastereien und Trinkgelage besaß die Stadt ihr eigenes Geschirr und einen reichen Vorrat an 
Leinenzeug. Ein lnventarverzeichnis aus dem Jahre 1789 gibt 64 große und kleine Zinnschüsseln, 2 große 
"Suppennäpfe, 8 Dutzend Teller mit dem Stadtwappen und 34 ohne solches an, ferner 10 Salzfässer, 4 Senf- 
kannen, 29 Leuchter aus Zinn und drei große Kandelaber aus Messing. Für Festlichkeiten, Fürstenbesuche, 
Bürgermeisterwahl und andere besondere Gelegenheiten waren silberne Becher und Prunkgefäße im Gebrauch. 
Im Jahre 1577 wurde der Beschluß gefaßt, daß jeder neu erwählte Ratsherr nicht, wie bis dahin üblich, einen 
lmbiß zu geben habe, sondern einen silbernen übergoldeten Becher, nicht unter 20 Gulden wert, aufs Rathaus 
stiften solleß Als man 100 Jahre später den Bestand des Silberschatzes aufnahm, zählte man 70 Becher, 
darunter viele mit Deckeln. Bekannt sind ein Becher von Colmann Fischer aus dem Jahre 1532, eine Rats- 
kanne von 1658, zwei „übergulte Duplet mit Stadtwappen auf dem Fuß", eine „uff die Zier vergulte Schale mit 
zween Griffen" und der 1674 vom Casseler Goldschmied Johann Henrich Meyer verfertigte Kappenbecher, der 
als „ziervergulter Knopfbecher mit Historien getrieben" bezeichnet wird und 48 Taler 11 Albus gekostet hatteß 
Die anscheinend in Vergessenheit geratene Verpflichtung der Ratsmitglieder zur Stiftung eines Bechers wurde 
 
1 Stadtarchiv Cassel C 26. 
2 Wagner in Landaus Kollektaneen, Landesbibliothek Cassel. Krieger, Cassel S. 147. Brunner, Gefängnisse S. 41, führt den 
Namen Goldkammer darauf zurück, daß der Raum „überirdisch war und der Inhaftierte also gegen den früheren Aufenthalt in einer wahren 
Goldkammer zu sitzen glaubte." Nebelthau, Denkwürdigkeiten II S. 78, berichtet, daß beim Abbruch des Rathauses die Arbeiter unter dem 
Fußboden der Goldkammer zehn doppelte und einen einfachen Louis d'or fanden, und meint, daß das Versteck schon früher ruchbar gewesen 
sein könne. 
8 Stadtrechnung 1548l49. Stadtarchiv Cassel. 
4 Cassel S. 238. 
5 Losch, Chroniken S. 95. 
' Stölzel, Stadtrechnungen S. 263. Nr. 68. 
' Stadtarchiv Cassel C 245. 
 
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