besitzen je acht Achsen, von denen die sechste beiderseits als Eingang gedient zu haben scheint. In der vierten
Achse auf der Seite des Judenbrunnens tritt ein runder Treppenturm nach außen vor. Die Grundrißanordnung
entspricht somit der im Mittelalter üblichen Saalanlage.
Die Zweckbestimmung der einzelnen Geschosse ist im Wesentlichen geklärt. ln dem im Untergeschoß
gelegenen geräumigen Ratskeller betrieb die Stadt ihren einträglichen Weinzapf. Von dem _Ansehen dieses
vielbesuchten Trinkraumes berichtet die Chronik in auffallender Fülle} Auch hohe Herren verschmähten es
nicht, die gastliche Stätte zu besuchen. So erzählt die hessische Congeries," daß 1426 „Landgralf Ludwig,
den man nandte den Fürsten des Friedens uf Dienstag vor Margreta mit seinen Edelleuten und Dienern
im Weinkeller gewest, da seyn verzert und durch die von Cassel bezahlt worden 10 Goldgulden 8 Alb." Eine
eiserne in einem Steinpfeiler des Kellers eingelassene Tafel vermerkte zum Gedächtnis, daß 1413 der Landgraf
eben dort nach einem Fischzuge von 398 Lachsen aus der Fulda ein Traktement gegeben habeß Der Stadt-
keller des Rathauses wurde zum Unterschiede von dem unter dem Kaufhause befindlichen ebenfalls der Stadt
gehörigen „Oberen Keller" der „Untere Keller" genannt. Ein vereidigter Stadtbänder besorgte die Keller-
meisterei; zwei Zäpfer, Herren des Rats, hatten die Verwaltung darüber. Der Schank im Unteren Keller war
für die Stadt noch ergiebiger als der im Oberen Keller; er brachte im 18. Jahrhundert bis zu 240 Rtlr. Pacht
jährlich. Zur Unterhaltung der Gäste wurde um die Mitte des 17. Jahrhunderts auf Stadtkosten eine Art
Billard aufgestellt, zu dem der Schreiner den hölzernen Rahmen herrichtete, der mit zwei Ellen grünen Tuches
bespannt wurde; dreizehn Messingkugeln dienten zur Ausübung.des Spielesß Sein Ansehen scheint der Keller
aber mit der Zeit verloren zu haben. In der letzten Zeit bildete er eine Bier- und Schnapskneipe geringster Art?
Der große Saal des Erdgeschosses, der in seiner Längsachse von sieben Säulen durchsetzt war, diente
als Kaufhalle}; Der Raum wird als sehr hoch bezeichnet? Die Angabe, daß er mit Gewölben überdeckt war,
bestätigt die Richtigkeit der Darstellung auf Wessels Plan. An seinen Säulen fand man zu Lehr und Warnung
allerlei seltsame Wahrzeichen angebracht, wie die falschen Schlüssel, die ein angesehener Bürger, Johannes
Schwerdtfeger mit Namen, bei seinen Einbrüchen gebraucht hatte, um derentwillen er selbst an den Galgen kamß
Von der breiten steinernen Treppe vor dem Eingänge zur Halle herab pflegten die Erlasse der Obrigkeit feierlich
verkündet zu werden. Auf dem Marktplätze selbst unter freiem Himmel wurde Gericht gehalten, wenn es sich um
Leib und Leben handelte, zum letzten Male im September 1817 vor der Hinrichtung des Raubmörders Roßbach.
Über die ursprüngliche Verfassung des ersten Obergeschosses ist zwar nichts überliefert, doch ist anzu-
nehmen, daß auch dieses Geschoß anfänglich einen einzigen Raum bildete. Auch dieser Saal, der zu den
Versammlungen und Beratungen diente, muß durch sieben Stützen geteilt gewesen sein, die indessen vermutlich
aus Holz bestanden und zum Tragen der Balkendecke bestimmt waren. Nachdem anscheinend um das Jahr
1570 bauliche Änderungen vor sich gegangen waren, finden sich in einer Stadtrechnung, von 1572 9 als Räume
des ersten Stockwerkes die kleine und die große neue Ratsstube, der Gang, die Kämmerei und das „Sommerhaus" 10
1 Brunner, Rathäuser S. 22 ff.
2 Nebelthau, Congeries S. 337 f.
3 Nebelthau, Congeries S. 339.
4 Brunner, Rathäuser S. 22.
5 Rogge-Ludwig, Kassel S. 152.
6 Rogge-Ludwig, Kassel S. 152, bezeichnet den Raum als Wage. Aber seine Beschreibung paßt nur auf die Kaufhalle. Ob seiner
Zeit eine vorübergehende Benutzung des Raumes als Wage stattgefunden hat, bleibt dahingestellt. Daß sich für Rogge-Ludwig „Wage" mit
„Kaufhalle" decken muß, geht auch aus seinen Angaben hervor, daß der Raum nach dem Markt liege und unter ihm der Unterste Keller sei.
Ferner teilt er mit, daß in den Räumen in früheren Jahrhunderten bis zur Einrichtung des Packhofes die ein- und ausgeführten Waren behufs
der Versteuerung gewogen wurden; auch habe der Ort mit seinen vielen Fässern und Kisten einen vortrefflichen Platz zum Versteckspielen
abgegeben, schließlich sei er jedoch an einen Spezereihändler vermietet worden, der hier einen Laden eingerichtet habe.
7 Rogge-Ludwig, Kassel S. 152.
8 Nebelthau, Congeries S. 348.
9 Stadtarchiv Cassel D 956.
l" Sommerhaus, mit coenaculum und aestiva übersetzt, war in älterer Zeit ein luftiger, hallenartiger Raum, der im Sommer als
Wohngemach, namentlich als Eß- und, wie wohl im Casseler Rathaus, als Trinkraum diente. Grimm, Wörterbuch X 1 S. 1531. Brunner,
Rathäuser S. 20.
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