Inmitten dieser Umwälzungen erscheint auf einem Stadtplane vom Jahre 1830 1 ein Treppenanbau in
dem westlichen Gebäudewinkel des Klosters, in diesem selber ein Zivilgericht und im Kanzleiflügel das Ober-
appellationsgericht. Es ist beachtenswert, daß dieses höchste Gericht Hessens von Anfang an seinen Platz bei-
behalten hat, bis es in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts mit den meisten anderen der im Renthofe
noch verbliebenen Behörden umgelegt wurde?
Zu Beginn des Jahrhunderts war schon die Münze in das von Charles du Ry erbaute Eckhaus an der
Karls- und Wilhelmsstraße verlegt worden. Von allen anderen Behörden bestanden nur noch die Regierung,
der Lehnhof, das Konsistorium, das Kriminalgericht und die Oberbaukommission im Renthofeß Auch sie
verließen bis auf das Konsistorium das Haus, als nach der Einverleibung Hessen-Cassels in Preußen das Land
mit einem neuen Organismus belebt worden war und über den Trümmern der Chattenburg das neue Regierungs-
gebäude Justiz und Verwaltung in sich aufnahmf
Die letzten Umbauten, besonders im südlichen Teile des Klosterflügels, die dort ein Polizeigefängnis
schufen, dem die ganze östliche Verbindung mit der Brüderkirche rücksichtslos geopfert wurde, erfolgte im
Jahre 1882. In dem westlichen Gebäudewinkel entstand ein neuer Eingang und eine breite Treppen" 1906
war an der Kettengasse ein Gebäude für das Polizeirevier geplant, das indessen nicht zur Ausführung kam.
Architektonisch betrachtet bildet die Gruppe der Renthofgebäude eine der interessantesten und
malerischsten Renaissanceschöpfungen Cassels. Die bewegte Geschichte des Hauses ist nicht ohne Einfluß auf
seine Gestaltung geblieben. Die äußere Erscheinung des Renthofes wird beeinflußt von der wechselnden
Stockwerksteilung, der viermal springenden Firsthöhe und dem ohne eine Horizontalgliederung durchgeführten
Bruchsteinmauerwerk, das überall zutage tretend nur noch an wenigen Stellen der Fuldafront einen altersgrauen
Schmierputz hält. Die Gebäudekanten werden von gut bearbeiteten und sauber in einzelnen Blöcken schicht-
weise versetzten Eckquadern bis unter das Hauptgesims hochgeführt, das aus einer großen Hohlkehle mit
Plättchen geformt ist und ohne Zwischenglied auf dem Mauerwerk aufliegt. Mit diesem wechselt es die Höhe
nur einmal und zwar springt es vom Klosterflügel auf den Mittelbau um ein Geschoß nach oben. Von hier
aus greift es in gleicher Höhe um den Anbau und die Kanzlei und bricht erst am Hausgiebel an der verlängerten
Kettengasse ab, dort jedoch wieder aufgenommen und in derselben Höhe wie im Hof bis zum Torrisalit fort-
geführt. Das Hauptgesims des Eckhauses an der Brüderkirche weicht von dem anderen ab und ist später wie
jenes entstanden. Über dem Hauptgesims streben allerorten Zwerghäuschen und am Kanzleiflügel außer diesen
auch Giebel über der Anschlußachse, dem Treppenturm im Hofe, der Westseite und über dem Übergang empor.
Die in der Frontfläche aufgebauten Zwerghäuschen zeigen durchweg die gleichen Formen. Zwei
gekuppelte kleine Rechteckfenster mit karnisprofilierten Gewänden sitzen hoch in der Fläche, die durch eine
einfach aus dem Steinrahmen hervorgeholte Randleiste mit ausgeklinkten Ecken eingefaßt wird. Der Abschluß
nach oben geschieht durch ein zurückliegendes Steinband mit drei aufgebrachten Knopfrosetten in der Mitte
und an den beiden Enden, sowie durch ein Gesims mit Dreiecksverdachung und Giebelfeldrosette.
Mit Ausnahme des Westgiebels sitzen die Drei- und Vieretagengiebel auf einem über das Hauptgesims
hinausgeführten Unterbau und lockern durch die Schwingungen ihrer Voluten, Vasen- und Rundbogenabschlüsse
den zurückhaltenden Ernst der Gebäudemassen. Die gesimstragenden Giebelpilaster und die Kanten des hoher
geführten Unterbaues über dem Treppenvorsprung im Hof sind durch italienische Rustizierung betont. Die
bekrönenden Vasen zeigen verschiedene Formen. Die gesamte Dachdecke ist neueren Ursprunges.
Die jeweiligen Anbauten haben im Hofe an zwei Stellen deutlich wahrnehmbar eine Mauernaht hinter-
lassen, die an der Treppe im stumpfen Gebäudewinkel von unten bis zum Hauptgesims durchläuft, am Anbau
1 Stadtplan v. Koppen 1830.
' Grundriß von Böckel vom 30. 4. 1855.
' Grundriß von Böcke] vom 80. 4. 1865.
4 Neuber, Renthof S. 281.
"' Pläne des Bauinspektors Schuchard vom 30. 12. 1880. Hochbauamt I Cassel.
(Kopie.) Hochbauamt I Cassel.
(Kopie) Hochbauamt I Cassel.
Tafel 304
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