großartigen Darbietungen in Anspruch genommen wurde} Über den neuen Zustand des ehedem für die
gymnastischen Übungen der Hofschüler bestimmten Gebäudes gibt 1714 Rothans 2 eine knappe Auskunft, indem
er mitteilt, daß „der Saal für die Comödianten und Balleten mit einem Amphitheatro" ausgestattet sei. „Man
siehet vorn, wenn man hineingehet, drei gallerien, eine auf der anderen, und hat eine jede fünf Bögen." Kein
Zweifel, schon damals hatte das Ballhaus seine eigentliche Eigenschaft als Saalbau mit der eines Theaters
vertauscht. Dennoch kann im Ganzen der Eindruck eines Einheitsraumes noch vorherrschend gewesen sein,
wie dies auch bei anderen Theatern der Fall war.
Allein für längere Zeit scheint die Neuerung nicht befriedigt zu haben. Bereits unter Landgraf Karls
Nachfolger läßt sich der Versuch feststellen, die Frage von Zuschauerraum und Bühne in einer ganz modern
anmutenden Art zu lösen. Die in den Urzeichnungen erhaltenen Pläne 3 zu einer vollständigen Verwandlung
der wohl immer noch bescheidenen Anlage in ein festlich-intimes Hoftheater verraten die Hand eines mit dem
ausgebildeten Bühnenhaus der Italiener wohlvertrauten Architekten, der sich im Grundriß die klare Dreiteilung
von Vestibül, Zuschauerraum und Szene zu eigen machte und im Aufriß in heiterer Laune die üppigsten
Rokokophantasien französischen Schwunges zu entfesseln gedachte. Die Pläne sind nicht signiert. Da sie aber
durch das Königsmonogramm über der Fürstenloge in die Zeit Friedrichs l. verwiesen werden und zudem nur
das Ergebnis eines reifen Künstlers darstellen können, so dürfte vielleicht Charles du Ry als Verfasser in
Betracht zu ziehen sein. Diese Annahme gewinnt dadurch an Wahrscheinlichkeit, daß im Januar 1749 Charles
du Ry von seinem in Paris studierenden Sohne Simon Louis die Zusendung der Stiche von Blondels Dekorationen
zum neuen Theätre du College de Louis le Grand sich erbat, deren Empfang die Schwester Simon Louis' am
20. April desselben Jahres bestätigte.
Der Entwurf nutzte die beschränkte Fläche des Ballhausgrundstückes geschickt aus. Das am Steinweg
untergebrachte quadratische Vestibül ist als Empfangsraum ausgebildet, von dem aus seitliche Treppen zur
Fürstenloge und zu den beiden oberen Galerien führen. Ein sich anschließender Vorraum leitet in die Erdgeschoß-
Galerien und das Parterre, dessen fünf Sitzreihen bis an die schön geschweifte Schranke des der Bühne vor-
gelagerten wenig vertieften Orchesters heranreichen. Das perspektivisch veriüngte schmale Proszenium wird
seitlich durch Dreiviertelsäulen, oben durch einen geschweiften Bogen abgeschlossen. Dahinter öffnet sich die
mehr tiefe als breite Bühne, deren Rückwand nach der Rennbahn ein großes Tor für den Kulissentransport
durchbricht. Von hier aus ist der Maschinenraum, der durch Unterkellerung der im Fußboden etwas gehobenen
Szene gewonnen wird, auf zwei schmalen Stiegen zugänglich. Die am Steinweg sich angliedernde ehemalige
Wohnung des Balletmeisters belegen die in zwei Stockwerken an langen Fluren verteilten, vollständig dunklen
Künstlergarderoben, die durch einen Nebeneingang von der Straße aus unmittelbar zugänglich sind und durch
eine den schmalen Hof brückenartig überquerende „Passage" mit der Bühne in Verbindung stehen.
Im Aufriß ist das l-laus auf der nach dem Steinweg gelegenen Hauptschauseite durch ein hohes Sockel-
geschoß mit französischer Rustika, sowie durch Pilaster und Lisenen als öffentlicher Bau gekennzeichnet. Die
einfach umrahmten Rundbogenfenster tragen über ihren Scheiteln Tafeln, die wohl zur Aufnahme von lnschriften
bestimmt waren. Ein lebhaftes Rokokoornament nimmt die flachbogige Lünette des Portals ein. Das zwei-
fenstrige Balletmeistershaus tritt in die denkbarste Bescheidenheit zurück. Sein Dach besteht aus einem Schlepp-
walm des I-Iauptgebäudes. Die Aufteilung der übrigen Fronten ist nicht bekannt. Die Längsseite nach dem
Schlosse zeigt im Grundrisse fünf ältere Öffnungen, die Schmalseite nach der Rennbahn zwei neue Ecklisenen.
lm Allgemeinen aber darf daraus, daß die Fenster- und Türverteilung eine ganz andere geworden ist und an
Stelle des Satteldaches ein Walmdach sich findet, geschlossen werden, daß im Äußeren Landgraf Moritz' Ballhaus
bereits verändert war und in Zukunft einen Umbau erfahren sollte, der nur die Substanz der Mauern erhielt.
Die innere Ausstattung hat mit dem alten Bestande garnichts mehr gemein. Die üppige und bewegte, reich
Tafel 332 u.
' Schminke, Cassel S. 223.
' Memorabilia.
' Staatsarchiv Marburg.
Krieger, Cassel S. 135. Rommel, Gesch. v. Hessen X S. 133. Lynker, Theater S. 275.