sehr als Gehäuse des Levitenstuhles, wie als Leibung eines ins Freie führenden, jetzt vermauerten Ausganges
angesprochen werden.
Ein Sockelgesimse, das aus Kehle mit ansetzenden Schrägen besteht, läßt sich an den beiden west-
lichsten Strebepfeilern feststellen, während den Chor, dessen Fuß in dem abfallenden Gelände um mehr als zwei
Meter frei wird, eine einfache Schräge umzieht. Das aus Kehle und Platte bestehende Hauptgesimse ist nur
an einzelnen Stellen erhalten.
Das ursprünglich auf der Außenseite verputzte Mauerwerk besteht aus rötlich-grauen Bruchsteinen.
Aus roten Sandsteinen sind lediglich die Architekturteile gearbeitet, an denen vereinzelte Steinmetzzeichen sich
feststellen lassen. Den mit Biberschwänzen eingedeckten Dachstuhl, der über dem Westteile infolge der ver-
schiedenen Schiffsbreiten interessante Systeme und Einzelkonstruktionen zeigt, krönt am Ostende des höheren
Gemeindehauses ein schlanker, sechsseitiger beschieferter Dachreiterl.
Besondere Beachtung beansprucht die Westwand, die durch ihre größere Stärke und den ungewöhn-
lichen Anschluß an die Längswände auffällt. Der Umstand, daß die Wölbekragsteine in den Ecken nicht
diagonal angeordnet sind, sondern senkrecht zur Außenwand stehen. in Verbindung mit der Tatsache, daß der
Strebepfeiler an der Nordfront weder schräge Stellung besitzt, noch die Ecke trifft, läßt keinen Zweifel darüber,
daß die Kirche ursprünglich weiter nach Westen sich erstreckte und die jetzige Westwand nur der nachträgliche
Abschluß des verkürzten Baues ist. Durch diese Annahme erklärt sich auch die Eigentümlichkeit, daß die
Gurtbogenarkade zwischen Haupt- und Nebenschiff am Westende der äußeren Strebe entbehrt und im lnnern
nicht auf dem gleichen soliden Widerlager aufruht, wie am Ostende, nämlich nicht auf einer in der Arkaden-
fläche liegenden Mauerzunge, sondern auf einem Kapitell, wie es die freistehenden Stützen besitzen. Da unter
diesem Kapitell, von dem nur drei Seiten des Achteckes aus der Wand hervorstehen, auch noch ein Stück
Schaft erhalten ist, dessen unterer Stumpf als Verlegenheitsabschluß das aus dem Säulenkern herausgehauene
Wappen mit dem hessischen Löwen trägt, so darf als sicher gelten, daß Kapitell und Schaftstück die Reste
eines freistehenden Arkadenpfeilers darstellen, der in der jetzigen Westwand vermauert und in seinem unteren
Teile, soweit er aus der Mauerflucht herausragte, abgehauen wurde, vermutlich weil er mit den übrigen Wand-
anschlüssen der Gewölbe nicht zusammenging oder den Einbau einer Empore störte. Bestätigt wird das jüngere
Alter der Westwand, die der Form der Wappenkonsole nach zu schließen in der Zeit der spätesten Gotik ein-
gezogen wurde, durch den unorganischen Anschluß des Schildbogens im Hauptschiffe, der das Kapitell garnicht
mehr faßt und auf einer plumpen Nebenkonsole aufsitzt.
Der Zufall hat das Jahr und den Grund dieser gewaltsamen Verkürzung des Gotteshauses überliefert.
Als 1527 die Altstädter Pfarrkirche auf dem Marställer Platz abgebrochen und der Schloßwall aus den ge-
wonnenen Steinen aufgeführt wurde, geriet auch die Brüderkirche in Mitleidenschaft. Die hessische Congeries ',
der wir die Nachricht verdanken, erwähnt nur kurz die Bauarbeiten an den Bollwerken und Mauern des
Schlosses, „darzu ward ein großer Theil an der Bruderkirchen abgebrochen". Daß dieser Abbruch sich nur
auf den Westteil bezogen haben kann, erscheint, da der Bau sonst wohlerhalten ist, glaubhaft. Und daß mit
-der Verstümmelung gleichzeitig der Abschluß durch die neue Westwand erfolgte, ist ohne weiteres klar, wird
aber noch durch einen Ausgabeposten des Jahres 1529 bestätigt, der sich in den Rechnungen über den Ab-
bruch der Kirche auf dem Marställer Platz findet und besagt, daß „27 gulden 201]; albus 3 hlr. seint verbawt
an der Kirchen zun Brudern an der want". '
l Nübel, Bauhütte l. Bl. 5 u. 6. Dehn-Rotfelser u. Lotz, Baudenkmäler, S. 26: „Das Kirchendach, schon von Tannenholz, mit
einer hängenden Wand gezimmert, ist noch das ursprüngliche". Die beiden Diagonalstreben beim Binder scheinen später eingezogen zu sein.
' Nebelthau, Congeries, S. 868.
' Nach Hochhuth, Statistik, S. 85 wurden „die Steine des . . . abgebrochenen Vorbaues der Karmeliterkirche zum Festungsbau
des Schlosses verwandt". Schmincke, Cassel, S. 362, glaubt, daß der Kreuzgang oder ein Nebengebäude abgebrochen sei, „da die innerliche
und äußerliche Bauart der Kirche völlig den Geschmack des XIV. Jahrhunderts zeiget, diese Kirche auch gleich bey der Reformation dem
Gottesdienste der Altstädter Gemeinde gewidmet worden". Krieger, Cassel, S. 81 f. vertritt die Ansicht, daß von der Kirche nur der Kreuz-
gang weggebroclren sei. Die Möglichkeit ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß der Westteil der Kirche niedergelegt wurde, weil er in die
erweiterten Festungswerke hineinragte.
'lafel 99,1 u. l
Tafel 9931-10
Tafel 104,6
149