Was Engelbrecht über die Musikgeschichte der Stadt Kassel schrieb, traf leider für die
Musikhss durchaus nicht zu. Zwar finden sich in Engelbrechts Dissertation die anonymen
Hss des 17. Jahrhunderts beschrieben, auf den gesamten Bestand gesehen, mußte der Be-
nutzer aber nach wie vor auf den 1881 veröffentlichten Katalog von Carl Israöl4 zurück-
greifen, der von den jüngeren Hss so gut wie keine dokumentiert. Immerhin hat Israels
Katalog die Benutzer motiviert, sich mit den älteren Drucken und Hss der Kasseler Biblio-
thek zu beschäftigen. Der Katalog fußt übrigens unmittelbar auf einem Katalog (20 439),
der identisch sein dürfte mit dem von Israel als Grosheim 'schen Katalog bezeichneten. Die-
ser ließ sich auf das Jahr 1822 datieren, während die Nachträge erst um 1881, im Zusam-
menhang mit dem Erscheinen des Israel-Kataloges also, vorgenommen wurden. Im Ge-
gensatz zu Israel, der seinen Katalog alphabetisch ordnete, entschied sich Grosheim für
eine Ordnung nach der Aufstellung der Musikalien (Format und Zahl). Auf Dr. Grosheim,
den zu jener Zeit (1822) von Spohr gefürchteten Kritiker, wird im Rahmen dieser Einlei-
tung noch einmal im Hinblick auf die Nachlässe zurückzukommen sein. Auch der soge-
nannte Grosheim-Katalog war nicht ohne Vorläufer. Schon einmal, beim Regierungsan-
tritt von Landgraf Friedrich II., wurde ein 1763 datierter Musikalienkatalog angelegt, der
ebenfalls eine Ordnung nach Formaten versucht (20 1447). Der Terminus „versucht"
wurde nicht ohne Kritik gewählt; erscheint doch die Einteilung in Groß Folio, in Mittel-
und Klein-Folio, in Groß- und Klein-Quarto, danach nochmals in Mittel- und Klein-Folio, in
Gr0ß-, Mittel- und Klein-Quarto einigermaßen willkürlich, um nicht zu sagen: konfus. Die
älteren Inventare, jenes von 1613 und das von 1638, das anläßlich der Auflösung der Ka-
pelle während des 30jährigen Krieges angelegt wurde, finden sich bei Zulaufs ausführlich
wiedergegeben.
Im Gegensatz zu anderen Bibliotheken sind in Kassel die mittelalterlichen Choralhss nicht
unter die Musikalien eingereiht, erscheinen deshalb nicht in diesem Katalog. Eine Be-
schreibung der Folio-Hss dieser Fachgruppe wurde kürzlich von Konrad Wiedemann vor-
gelegt0. Die Kataloge der 40 und 80-Hss sind zu erwarten.
Frühestes Zeugnis mehrstimmiger Musik bilden einige Fragmente aus einer um 1452 ge-
schriebenen Hs, die u. a. den Hymnus A solis ortus cardine von Gilles Binchois überliefern
(40 259). Konkordanzen der übrigen Stücke (Kontrafakte) finden sich in dem berühmten
Kodex St. Emmeram (München BSB Clm 14274) und in der Hs Madrid Escorial A. Das
Zeitalter der Reformation ist naturgemäß reichlicher vertreten, obwohl die Kapelle unter
Landgraf Philipp ökonomisch nicht sonderlich gut ausgestattet wurde. So fehlen in Kassel"
die repräsentativen Chorbücher, wie sie etwa für den Stuttgarter oder Münchner Bestand
charakteristisch sind. Johannes Heugel (ca. 1510-1585) hat während seiner rund 50 Jahre
CARI. ISRAEL. Uebersichtlicher KataIog der Musikalien der ständischen Landesbibliothek zu Cassel. Cassel
1881
ERNST ZULAUF. Beiträge zur Geschichte der Landgräflich-Hessischen Hofkapelle zu Kassel bis auf die Zeit
Moriti des Gelehrten. Kassel 1902
Manuscripta theologica. Bearbeitet von Kommt) WIEDEMANN. Wiesbaden 1994 (Die Handschriften der Ge-
samthochschul-Bihliothek. Landesbiblitithek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel. Bd 1,1.)
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