Feige verlangt nun von der Hoftheater-Intendanz in
Darmstadt die Auslieferung Sehdelmanns. Er hegt wenig
Hoffnung und schreibt: „Da aber die Grundsätze, die von
dieser Intendanz befolgt werden, sich wenig mit der Ehre
eines Hostheaters vertragen, in dem dieselbe erst vor
wenigen Wochen auch einen Schauspieler von Hamburg,
welcher dort noch durch mehrjährigen Kontrakt gebun
den, zurückgehalten und zum Kontraktbruch verleitet
hat, so stehet Zu erwarten, daß meine gerechten An
forderungen hinsichtlich des Sehdelmann gleichfalls von
ihr unberücksichtigt bleiben werden 16 )." Feige sollte Recht
behalten.
Nunmehr werden die Diplomaten bemüht. Es schreibt
der darmstädtische Minister von Grolmann an den kul-
fürstlichen Gesandten am Großherzoglichen Hofe Frei
herrn von Meyerfeld am 5. August 1828:
„Euerer Erzellenz verehrliches Schreiben vom 31.
vorigen Monats habe ich zu erhalten die Ehre gehabt.
Das Schreiben an die Intendance des Großherzog
lichen Hoftheaters, welches demselben beigelegen, habe
ich sogleich dem mit der Intendance beauftragten Ge-
heimrat Freiherrn von Türkheim zustellen lassen, und, ob
gleich die gedachte Intendance allerdings keinem der
Großherzoglichen Ministerien untergeordnet ist, doch von
den hier ausgedrückten Wünschen Ew. Exzellenz mit Ver
gnügen Veranlassung genommen, mich um die näheren
Verhältnisse der Seydelmannschen Angelegenheit Zu er
kundigen, um Hochdenselben darüber genügende Aus
schlüsse geben zu können.
Der Schauspieler Sehdelmann hat allerdings mit der
hiesigen Hoftheaterintendance schon einige Wochen vor
der Ankunft des verehrlichen Schreibens Ew. Exzellenz
einen Kontrakt über eine lebenslängliche Anstellung ab
geschlossen, es ist aber dabei zur ausdrücklichen Be
dingung gemacht worden, daß er sich genügend auszuwei
sen habe, daß an dem Orte seiner bisherigen Anstellung
keine fortbestehenden rechtlichen Verbindlichkeiten der
Schließung des Kontraktes entgegenstünden. Diese Be
dingung ist aus ausdrücklichen Befehl Seiner Königlichen
Hoheit des Großherzogs gemacht worden, in dem aller-
höchstdieselben durchaus nicht wollen, daß der Übergang
zu der hiesigen Buhne ein Mittel werden solle, begrün
dete rechtliche Verbindlichkeiten unerfüllt zu lassen, am
wenigsten aber in diesem Falle gestatten würden, daß in
der gedachten Beziehung irgend etwas geschehe, was,
allerhöchst ihren freundschaftlichen Gesinnungen gegen
des Kurfürsten Königliche Hoheit zuwider, eine begrün
dete Veranlassung zu einer Beschwerde geben könnte.
Wenn demnach der Schauspieler Sehdelmann in Kas
sel nach seinem Kontrakte noch Verbindlichkeiten Zu er
füllen hat, welche mit seinem dahier eingegangenen
Engagement nicht Zusammen bestehen können, so wird cs
des Falls nur einer Mitteilung der dortigen Hoftheater
intendance an die hiesige bedürfen, um das gedachte
Engagement für aufgehoben zu erklären.
Ich muß jedoch dabei bemerken, daß die hiesige Inten
dance bei ihren Schritten von der lebenslänglichen An
stellung Sehdelmanns an dem Hoftheater in Cassel aller
dings Kenntnis gehabt, aber geglaubt hat, daß dieses an
sich einem dahier einzugehenden Engagement nicht im
Wege stehen könne, in dem man hier gewohnt ist, in der
gleichen Anstellungen nur eine Versicherung des Dieners
gegen Entlassung im Falle eintretender Unfähigkeit zu
erkennen, keineswegs aber ein Versprechen des Dieners,
nie seine Entlassung fordern zu wollen, daraus abzu
leiten."
Überzeugend sind diese darmstädtischen Gründe wohl
nicht. Sicher ist nur, daß Darmstadt Sehdelmann nicht
ausliefern will. Nun wird geschrieben und verhandelt,
vom Gericht zur Negierung zum Theater, es wird be
merkt und beanstandet. Das Darmstüder Theater ant
wortet auf die Briefe Feiges überhaupt nicht. Da soll
der Kurfürstliche Gesandte in Darmstadt veranlassen, daß
das dortige Theater antwortet. Indessen berichtet Feige
am 12. November, daß Sehdelmann sein Darmstädter
Engagement angetreten hat. Nun ergeht am 14. Nov.
an den Kurfürstlichen Gesandten der Befehl, er habe „Zu
verlangen, daß Sehdelmann angewiesen werden möge, nun
seinen gegen das kurfürstliche Hoftheater übernommenen
Verpflichtungen nachzukommen, sich hier wieder zu stellen."
Oarmstadt entschuldigt sich 14 Tage später mit der ver
kehrten Adresse. Freiherr du Thil lehnt die Auslieferung
ab, da er als Minister der auswärtigen Angelegenheiten
nicht zuständig sei. Dies sei eine private Sache von
Theater und Sehdelmann und rein privatrechtlicher Na
tur, und zudem das Darmstädter Theater-Komitöe sei
keinem Ministerium unterstellt. Indes interessiert sich
nun auch die Öffentlichkeit für diesen Fall. Die Didas-
kalia (Nr. 355) spricht von wortbrüchigen Schauspielern,
und in dem gleichen Beiblatt des Frankfurter Deutschen
Journals gibt auch Feige den bereits angeführten Be
richt^), in dem er Sehdelmann anprangert. Er schließt
mit dem Satze: „Übrigens hat die Handlungsweise Seydel-
manns es veranlaßt, daß sämtlichen Mitgliedern des
hiesigen Theaters ein ihren Verpflichtungen entsprechen
der und denselben gemäß eingerichteter Diensteid abge
nommen wurde."
Dies war im Januar 1829 geschrieben und vorläufig
schien der Fall Sehdelmann zu ruhen. Da schrieb am
25. Mai der Gesandte von Meherfeld an den Kurfürsten.
„Bei dem Großherzoglichen Hessischen Staatsminister du
Thil, der mich ehe gestern dahier besuchte, brachte ich die
Veanwortung der letzten Note, welche ich am 13. März
in Betreff des Schauspielers Sehdelmann zu allerunter-
tämgsten Befolgung der deshalbigen Befehle für König
liche Hoheit vom 31. Januar und 10. März dieses Fahres
an ihn erlassen hatte, mündlich in Erinnerung, woraus
er mir eröffnete: Daß gedachter Schauspieler auf eine
von Seiner Königlichen Hoheit dem Großherzog von
Hessen an die dortige Theatrintendance erlassene Ver
fügung unter Aufhebung des von letzterer mit jenem
eingegangenen Kontrakt entlassen worden sei- daß er da
her eine materielle Beantwortung jener Note nicht mehr
zweckdienlich fände, sondern diesen Gegendstand für er
ledigt halten müsse- vertraulich bemerkte der Minister
während dieser Unterredung nebenher, daß man Großher-
zoglicherseits die Auflösung des vorgedachten Kontrakts
nur mittels einer nicht unbedeutenden Geldaufwendung
habe bewirken können, dieses Opfer aber nicht geachtet
habe, um Sehdelmann von Darmstadt zu entfernen. Ich
erwiderte ihm hierauf, daß ich jedoch in jedem Falle,
eine schriftliche Antwort auf meine Note glaube erwarten 17
17) s. S. 24, Anm. 15.