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versuchen/ das große alte Erbe Zu wahren und betreuen.
In dieser Zeit wirkt aber auch schon der Zersetzende
jüdische Geist von Börne bis Heine.
Als Seydelmann 1822 nach Kassel kam, war seine
wirtschaftliche Lage nicht erfreulich. Er hatte eine be
trächtliche Schuldenlast Zu tragen. Die Kosten einer
Badekur erhöhten sie um „mehrere Hundert Thaler".
Man kam ihm entgegen und gewährte ihm 1824 die
lebenslängliche Anstellung 12 ), womit auch seine Familie
gesichert war. Seine Gesundheit war angegriffen und
während seiner Kasseler Zeit mußte er mehrere Male nach
Bad Ems zur Kur 13 14 ). Er war mißmutig, unzugänglich,
mied jeden Verkehr und Zog sich engherzig zurück. Hen
riette Schmidt bringt von ihm folgende Schilderung"):
„Noch glaube ich ihn zu sehen, als er das erste Mal
unser VersammlungsZimmer im Theater betrat. In einer
damals modernen erbsengelben Chenille, die goldblonden,
etwas rötlichen Haare künstlich Zu einem Lockenkopf ge
ordnet, lenkte er seine großen blauen Augen, welche
Schüchternheit und Mißtrauen Zeigten, prüfend bald rechts
bald links auf die versammelten Kollegen, um Zu prüfen,
welchen Eindruck er mache. Mißtrauen war überhaupt
der hervorstechende Zug seines Charakters. In steter
Unruhe, unzugänglich, ungenügsam, unzufrieden, und da
bei im hohen Grade ehrsüchtig, stand er stets isoliert und
hat sich in Kassel nie glücklich gefühlt."
Seine angegriffene Gesundheit, die stets schlechte wirt
schaftliche Lage, seine eigene Verstimmung verleideten
ihm Kassel. „Hätte sich mein Verhältnis von der Bühne
herab zum Publikum nicht gleich so freundlich gestaltet,
wäre es nicht fortdauernd dasselbe geblieben, hätte sich
vor Ablauf meines Kontraktes nicht die lebenslängliche
Anstellung ergeben, wie lange wäre ich schon fort!" So
schrieb er nach Hamburg, als man sich dort um ihn be
warb. Seydelmann wollte weg. Er reichte am 20. Februar
1828 sein Entlassungsgesuch ein. Generaldirektor Feige
berichtet dem Kurfürsten: „Ganz unerwartet und ohne eine
Veranlassung anzuführen, hat der Hofschauspieler Sehdel-
mann gestern das Gesuch um Entlassung eingereicht."
Feige vermutet „die ökonomischen Verhältnisse" und die
Aussicht eines höheren Gehaltes in Hamburg. Er er
wähnt Seydelmanns „gegenwärtig sehr bedrängte Lage"
und schlägt vor, „den Seydelmann in Rücksicht seiner aus
gezeichneten Verdienste entweder durch eine Zulage oder
ein allerhuldreichst zu verabreichendes Gnadengeschenk zu
beglücken, um dadurch seinen gesunkenen Mut zu be
leben und ihn der hiesigen Kunstanstalt ferner zu erhal
ten". Die kurfürstliche Entscheidung lautet: „Da nach
den Kontrakten kein Abschied zu verwiegen stehet, so
wird diesem von Mir persönlich als auch dem Publikum
so beliebten Künstler eine Qualifikation von Zweihundert
Talern bewilligt."
Dies fürstliche Geschenk schlug Seydelmann aus. „Nun
mehr erklärte er mit der Theaterdirektion zu Hamburg
bereits einen Vertrag abgeschlossen und mittelst des
selben ein Neuegeld von 1000 N versprochen zu haben,
12) Staatsarchiv Marburg. Akte Sevdelmann. Geh. Kab.
jährlich 1300 Ntblr. solange er dienstfähig
800 Nthlr. Pension
300 Nthlr. für die Witwe. Urkunde 31.
Mai 1824. 1. 1. 1827 Gage auf 1400 Nthlr. erhöht.
13) H. Th. Nötscher a. a. O.
14) Hessenland 1887. S. 126.
schützte unter Anderem seine pekuniäre Lage als Grund,
weshalb er um seine Entlassung nachgesucht habe, vor,
und ging Zuletzt darauf ein, für den Fall, daß seine ihn
mit Erekution verfolgenden Gläubiger beruhigt würden
und er seiner Verpflichtungen gegen die Hamburger
Bühne enthoben werden könne, sein Entlassungsgesuch
fallen lassen Zu wollen. So kam die Zeit seines Urlaubs
herbei, und noch am Tage seiner Abreise wiederholte er
sein früheres Versprechen, ein Verzeichnis seiner Schul
den, um auf den Grund desselben mit seinen Gläubigern
unterhandeln zu können, einzureichen, jetzt von Ems aus
erfüllen zu wollen. Er hielt dies Versprechen nicht, bezog
seine Gage während seines Urlaubes bis zum I.Juli."")
Seydelmann läßt es nun zum Kontraktbruch kommen
Am 11. Juli reicht er noch um Urlaubsverlüngerung ein.
Sie wird bewilligt. Man schickt ihm den zu seinen Gun
sten veränderten Spielplan, daß er rechtzeitig wieder in
Kassel eintrifft. Er spielt als Gast im Juli in Darm
stadt und bleibt dort.
Nunmehr ist es ein Belang der Negierung geworden,
und der Fall Seydelmann sollte sogar noch eine Staats-
Angelegenheit werden. Der Obergerichtsrat Wähler
schreibt an die Negierung, an den Geh. Kabinettsrat von
Meysenbug, dem Vater der Malvida von Meysenbug.
(Vergleiche die Memoiren einer Idealistin.) Am
27. Juli 1828 ist dieser Brief geschrieben.
„Was man in Beziehung auf Seydelmann befürchtete,
scheint eintreffen zu wollen. Er kehrte bis dahin nicht zu
rück, nicht aber um seine, wie man sagte, gegen die Ham
burger Theaterdirektion übernommenen Verpflichtungen
zu erfüllen, sondern um in Darmstadt zu bleiben. Ein
dortiger Schauspieler, namens Porth, der hier ein
Engagement suchte, unterstellt letzteres als gewiß. Etwas
Bestimmtes weiß man noch nicht, und deshalb halte ich
es mit Herrn Intendanten Feige für ratsam, vorerst nur
ein Ausbleiben über Urlaub supponieren, und in diesem
Sinne die Theaterintendanz zu Darmstadt anzugehen.
Ein Schreiben an dieselbe kommt hierbei, mit der gehor
samsten Bitte, es nach vorgängiger Verschließung ab
gehen zu lassen, wenn nicht dortige, hier unbekannte Er
eignisse in dieser Sache eine andere Behandlung der-
halben erforderlich machen sollten. Ich bin mit Herrn
Intendanten Feige der Meinung, daß die Streiche des
Seydelmann nicht ungerügt hingehen können, so wie ich
es mir nicht einreden kann, daß der Hof zu Darmstadl
das, was rechtlich von ihm gefordert werden kann, ab
lehnen oder verweigern werde. Die zu dem Ende erfor
derlichen diplomatischen Einleitungen werden demnächst
Ew. Hochwohlgeboren schon einzuleiten wissen. Jedenfalls
könnte gegen Seydelmann, der vor seiner Reise sich einen
Vorschuß zu verschaffen wußte und während seiner Ab
wesenheit seinen Gehalt bezog, der auch von der Ham
burger Direktion Gelder empfangen und hier viele Schul
den hinterlassen haben soll, als Betrüger im peinlichen
Wege verfahren werden. Schonung verdient er gewiß
nicht. Für den Fall, daß er es versucht haben würde,
sich durch Kassel zu schleichen, um nach Hamburg zu
gehen, waren von dem Herrn Polizeidirektor Pfeiffer die
zweckmäßigsten Anordnungen getroffen")."
15) Nach dem Bericht von Feige am 9. Januar 1829 in der
„Didaskalia"
16) Staatsarchiv Marburg. Akte Seydelmann.