Full text: Hessenland (49.1938)

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versuchen/ das große alte Erbe Zu wahren und betreuen. 
In dieser Zeit wirkt aber auch schon der Zersetzende 
jüdische Geist von Börne bis Heine. 
Als Seydelmann 1822 nach Kassel kam, war seine 
wirtschaftliche Lage nicht erfreulich. Er hatte eine be 
trächtliche Schuldenlast Zu tragen. Die Kosten einer 
Badekur erhöhten sie um „mehrere Hundert Thaler". 
Man kam ihm entgegen und gewährte ihm 1824 die 
lebenslängliche Anstellung 12 ), womit auch seine Familie 
gesichert war. Seine Gesundheit war angegriffen und 
während seiner Kasseler Zeit mußte er mehrere Male nach 
Bad Ems zur Kur 13 14 ). Er war mißmutig, unzugänglich, 
mied jeden Verkehr und Zog sich engherzig zurück. Hen 
riette Schmidt bringt von ihm folgende Schilderung"): 
„Noch glaube ich ihn zu sehen, als er das erste Mal 
unser VersammlungsZimmer im Theater betrat. In einer 
damals modernen erbsengelben Chenille, die goldblonden, 
etwas rötlichen Haare künstlich Zu einem Lockenkopf ge 
ordnet, lenkte er seine großen blauen Augen, welche 
Schüchternheit und Mißtrauen Zeigten, prüfend bald rechts 
bald links auf die versammelten Kollegen, um Zu prüfen, 
welchen Eindruck er mache. Mißtrauen war überhaupt 
der hervorstechende Zug seines Charakters. In steter 
Unruhe, unzugänglich, ungenügsam, unzufrieden, und da 
bei im hohen Grade ehrsüchtig, stand er stets isoliert und 
hat sich in Kassel nie glücklich gefühlt." 
Seine angegriffene Gesundheit, die stets schlechte wirt 
schaftliche Lage, seine eigene Verstimmung verleideten 
ihm Kassel. „Hätte sich mein Verhältnis von der Bühne 
herab zum Publikum nicht gleich so freundlich gestaltet, 
wäre es nicht fortdauernd dasselbe geblieben, hätte sich 
vor Ablauf meines Kontraktes nicht die lebenslängliche 
Anstellung ergeben, wie lange wäre ich schon fort!" So 
schrieb er nach Hamburg, als man sich dort um ihn be 
warb. Seydelmann wollte weg. Er reichte am 20. Februar 
1828 sein Entlassungsgesuch ein. Generaldirektor Feige 
berichtet dem Kurfürsten: „Ganz unerwartet und ohne eine 
Veranlassung anzuführen, hat der Hofschauspieler Sehdel- 
mann gestern das Gesuch um Entlassung eingereicht." 
Feige vermutet „die ökonomischen Verhältnisse" und die 
Aussicht eines höheren Gehaltes in Hamburg. Er er 
wähnt Seydelmanns „gegenwärtig sehr bedrängte Lage" 
und schlägt vor, „den Seydelmann in Rücksicht seiner aus 
gezeichneten Verdienste entweder durch eine Zulage oder 
ein allerhuldreichst zu verabreichendes Gnadengeschenk zu 
beglücken, um dadurch seinen gesunkenen Mut zu be 
leben und ihn der hiesigen Kunstanstalt ferner zu erhal 
ten". Die kurfürstliche Entscheidung lautet: „Da nach 
den Kontrakten kein Abschied zu verwiegen stehet, so 
wird diesem von Mir persönlich als auch dem Publikum 
so beliebten Künstler eine Qualifikation von Zweihundert 
Talern bewilligt." 
Dies fürstliche Geschenk schlug Seydelmann aus. „Nun 
mehr erklärte er mit der Theaterdirektion zu Hamburg 
bereits einen Vertrag abgeschlossen und mittelst des 
selben ein Neuegeld von 1000 N versprochen zu haben, 
12) Staatsarchiv Marburg. Akte Sevdelmann. Geh. Kab. 
jährlich 1300 Ntblr. solange er dienstfähig 
800 Nthlr. Pension 
300 Nthlr. für die Witwe. Urkunde 31. 
Mai 1824. 1. 1. 1827 Gage auf 1400 Nthlr. erhöht. 
13) H. Th. Nötscher a. a. O. 
14) Hessenland 1887. S. 126. 
schützte unter Anderem seine pekuniäre Lage als Grund, 
weshalb er um seine Entlassung nachgesucht habe, vor, 
und ging Zuletzt darauf ein, für den Fall, daß seine ihn 
mit Erekution verfolgenden Gläubiger beruhigt würden 
und er seiner Verpflichtungen gegen die Hamburger 
Bühne enthoben werden könne, sein Entlassungsgesuch 
fallen lassen Zu wollen. So kam die Zeit seines Urlaubs 
herbei, und noch am Tage seiner Abreise wiederholte er 
sein früheres Versprechen, ein Verzeichnis seiner Schul 
den, um auf den Grund desselben mit seinen Gläubigern 
unterhandeln zu können, einzureichen, jetzt von Ems aus 
erfüllen zu wollen. Er hielt dies Versprechen nicht, bezog 
seine Gage während seines Urlaubes bis zum I.Juli."") 
Seydelmann läßt es nun zum Kontraktbruch kommen 
Am 11. Juli reicht er noch um Urlaubsverlüngerung ein. 
Sie wird bewilligt. Man schickt ihm den zu seinen Gun 
sten veränderten Spielplan, daß er rechtzeitig wieder in 
Kassel eintrifft. Er spielt als Gast im Juli in Darm 
stadt und bleibt dort. 
Nunmehr ist es ein Belang der Negierung geworden, 
und der Fall Seydelmann sollte sogar noch eine Staats- 
Angelegenheit werden. Der Obergerichtsrat Wähler 
schreibt an die Negierung, an den Geh. Kabinettsrat von 
Meysenbug, dem Vater der Malvida von Meysenbug. 
(Vergleiche die Memoiren einer Idealistin.) Am 
27. Juli 1828 ist dieser Brief geschrieben. 
„Was man in Beziehung auf Seydelmann befürchtete, 
scheint eintreffen zu wollen. Er kehrte bis dahin nicht zu 
rück, nicht aber um seine, wie man sagte, gegen die Ham 
burger Theaterdirektion übernommenen Verpflichtungen 
zu erfüllen, sondern um in Darmstadt zu bleiben. Ein 
dortiger Schauspieler, namens Porth, der hier ein 
Engagement suchte, unterstellt letzteres als gewiß. Etwas 
Bestimmtes weiß man noch nicht, und deshalb halte ich 
es mit Herrn Intendanten Feige für ratsam, vorerst nur 
ein Ausbleiben über Urlaub supponieren, und in diesem 
Sinne die Theaterintendanz zu Darmstadt anzugehen. 
Ein Schreiben an dieselbe kommt hierbei, mit der gehor 
samsten Bitte, es nach vorgängiger Verschließung ab 
gehen zu lassen, wenn nicht dortige, hier unbekannte Er 
eignisse in dieser Sache eine andere Behandlung der- 
halben erforderlich machen sollten. Ich bin mit Herrn 
Intendanten Feige der Meinung, daß die Streiche des 
Seydelmann nicht ungerügt hingehen können, so wie ich 
es mir nicht einreden kann, daß der Hof zu Darmstadl 
das, was rechtlich von ihm gefordert werden kann, ab 
lehnen oder verweigern werde. Die zu dem Ende erfor 
derlichen diplomatischen Einleitungen werden demnächst 
Ew. Hochwohlgeboren schon einzuleiten wissen. Jedenfalls 
könnte gegen Seydelmann, der vor seiner Reise sich einen 
Vorschuß zu verschaffen wußte und während seiner Ab 
wesenheit seinen Gehalt bezog, der auch von der Ham 
burger Direktion Gelder empfangen und hier viele Schul 
den hinterlassen haben soll, als Betrüger im peinlichen 
Wege verfahren werden. Schonung verdient er gewiß 
nicht. Für den Fall, daß er es versucht haben würde, 
sich durch Kassel zu schleichen, um nach Hamburg zu 
gehen, waren von dem Herrn Polizeidirektor Pfeiffer die 
zweckmäßigsten Anordnungen getroffen")." 
15) Nach dem Bericht von Feige am 9. Januar 1829 in der 
„Didaskalia" 
16) Staatsarchiv Marburg. Akte Seydelmann.
	        
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