Full text: Hessenland (49.1938)

Gegenwart des bildenden Gedankens Zu spüren, und die 
kluge, kalte Munterheit, die Gewandtheit und Ungezwun 
genheit, der Aberglaube und die Bigotterie, die Men 
schenverachtung und die instinktartige Grausamkeit Lud 
wigs XL, seltsam verbunden und gekreuzt in der doppel 
ten Überlegenheit eines Königs und eines Mannes von 
scharfem Geist und zähem, nachhaltigem Charakter, das 
alles entwickelt unser fleißiger Künstler auf eine Art, 
worin sich ein sorgfältiges Studium und ein glücklicher 
Takt in gleichem Grade kund geben. Wenn auch vielleicht 
in einzelnen Details noch manches gleichartiger mit dem 
Ganzen verbunden und fremden Anklängen und Zufäl 
ligkeiten mehr entzogen werden müßte, so verschwindet 
dieses doch ganz und gar gegen die Fülle von Wahrheit 
und Charakteristik, welche in den Szenen entfaltet wurde, 
wo sogar die Scherze und das Trällern des unheimlich 
ausgeräumten Königs höchst bezeichnend waren, wo sich 
in Ludwig wieder der überlegene Geist, der französische 
König und der echte Kapetinger, in allem doch wie elek 
trisch von Blitzen der Tyrannennatur durchzuckt, zeigt. 
Ludwig XI. ist eine von Sehdelmanns vollendetsten 
Nöllen- er wird darin vor jedem Publikum seines Er 
folges sicher sein" 10 ) 
Und ferner wird Seydelmanns Kunst in „Ahnen- 
st o l z in der K ü ch e" von dem gleichen Kritiker vier 
Tage später in folgenden Ausführungen beurteilt. 
„S e y d e l m a n n macht immer Epoche in diesem 
Stück. Er spielt die Nolle in der Tat mit voller, spru 
delnder Laune- was mich aber betrifft, so meine ich, daß 
die Laune nicht ganz hinreicht zu einer bestimmten komi 
schen Darstellung. Es genügen ihr zu sehr die allgemei 
nen Absichten, welche jedoch von flüchtiger, ja nicht 
immer dramatischer Natur sind, zumal da, wo die Laune 
selbst ausgeht, oder keine Nahrung mehr findet, da denn 
der trockene Boden des Stoffs allzu sichtbar wird, wenn 
nicht eine, ich möchte sagen, eigensinnige vis cómica 
vor die Bresche tritt. Nun freilich, die fehlt Herrn 
Seydelmann keineswegs- aber der künstlerische 
Eigensinn, von dem ich eben gesprochen, — ich meine den 
Eigensinn, welcher gegen den Stoff gewandt, nicht von 
ihm abläßt, er habe ihn denn durch und durch besiegt, 
gewonnen und dem eigenen bildenden Genius assimiliert,— 
diesen schönen Eigensinn, welchen Herr Seydelmann 
auf seine größeren, wichtigeren, ernsteren Rollen, beson 
ders auf die historischen, verwendet, — er widmet ihn 
schon viel seltener den kleineren, komischen Aufgaben. 
Ich weiß nicht, ob das nicht in einigem Zusammenhang 
steht mit dem durch vielen Beifall und vieles Beispiel 
auf allen unseren Bühnen verbreiteten Irrtum, das bei 
den komischen Darstellungen Laune, eigene Lust, Gabe 
und Naturell, wie sie in munteren Gesellschaften häufig 
Glück machen, schon ausreichen und alles Erforderliche 
verfangen müßten. Ich bin dieser Meinung nicht! Ich 
glaube, daß Ergötzung durch scherzhaftes Talent eins, und 
komische, dramatische Darstellung ein anderes ist. Und 
nun von der Darstellung unseres Kochs zu sprechen. 
Was, meiner Meinung nach, der echten, dramatischen 
Komik noch fehlte, das war die Fülle und Breite, 
welche allein eine natürliche Folge aller fruchtbaren 
komischen Momente Zuläßt. Die Handlung des Stückes 
an sich ist unbedeutend, null. Man hat bloß die Lächer 
10) Kasseler Allgemeine Zeitung, 5. April 1828. 
lichkeit, die Ostentation und das Pathos bornirter Her- 
kunfts- und Standes-Ambitionen durch die Karrikatur 
einer narrenhasten und hitzigen Eitelkeit in einer subalter 
nen Stellung parodieren wollen- jede andere Handlung, 
woran dieselbe Entwicklung möglich war, wäre obensogut 
gewesen. Das Wesentlichste sind die einzelnen Züge der 
Hauptperson, und so drollig dieser auch gegeben worden 
ist, so kommt es mir doch vor, als ob bei der Hast, womit 
der Künstler sich jeden Augenblick in den Genuß der 
Güter seiner Nolle setzte, die Ökonomie derselben gelitten 
hätte, so daß nicht aller mögliche Ertrag davon gewonnen 
werden konnte. Phantastisch und zerfließend, wie aristo 
phanische Fratzen, dürfen überhaupt solche Figuren nicht 
sein, weil ihr Komisches sich zum großen Teile erst aus 
einer Neihe von lebendigen Kontakten und Durchkreuzun 
gen mit wahrhaften Verhältnissen, Gefühlen und Antrie 
ben entwickelt, also einer größeren Unterlage von ganz 
naher Wahrheit bedarf, und sogar Sentimentales, und 
zwar nicht gerade parodirtes, sondern auch (natürlich bis 
zu einem gewissen Grade) echtes Sentimentales in sich 
aufnehmen kann. Je mehr hierbei die Absicht der 
Parodie zurück tritt, desto echter und reicher wird ihre 
Wirkung, welche ja meist in der Kombination, in dem 
Verhältnis der Folgen und Mittel zu der winzigen Be 
schaffenheit der Ursachen und Zwecke liegt. So müßte 
denn Batel, neben seiner schwachen Seite, doch auch noch 
mehr Fleisch und Blut haben, etwas mehr Individuum, 
etwas mehr ein Vater und Hausoffiziant sein- er müßte 
nicht selbst zu erkennen, zu überschauen scheinen, sich 
weder selbst kommentieren, noch sich, wenn auch so leise, 
selbst verspotten. Eben dieses vollständige Nichtahnen des 
Komischen, diese Befangenheit in dem eigenen Wesen ist 
das lächerlichste, und selbst die schöne Gelegenheit, das 
feierliche und pathetische der historischen und tragischen 
Wichtigkeit zu parodieren, müßte, meine ich, mit mehr selbst 
genügsamer, selbsterfüllter Behaglichkeit und Ausführung 
benutzt werden, wobei zugleich die karakteristische Nei 
gung zu theatralischem Pomp und deklamatorischem 
Schmuck ihr Teil erhalten könnte. Das Alles behandle 
ich deshalb so umständlich, weil für denjenigen, welcher 
so gut weiß, was man sagen will, unsere Worte am 
wenigsten verloren sind, und ohne darum im mindesten 
entschlossen zu sein, in Zukunft irgend etwas von den 
vielen spaßhaften und drolligen Zügen, womit Seh - 
d e l m a n n uns ergötzt, am wenigsten aber die possir- 
liche und treffende Art zu entbehren, womit Vatel, im 
Gefühl besseren Daseins, deutsche Köche und Küchen- 
Terminologie behandelt." ") 
Mit diesen Sätzen ist die ironische Stellung der spät- 
romantischen Nichtung in der Kunst Sehdelmanns sicher 
gekennzeichnet. Man spürt die Schätzung und Freude der 
Kunst Seydelmanns, man empfindet aber auch die leich 
ten Bedenken. Es ist nicht die freie, unbefangene Komik, 
die ihre komische Wirkung in nichts ahnt noch berechnet, 
sondern es muß, „wenn auch noch so leise", sie selbst ver 
spottet worden sein. Das ist das romantische Spiegel 
fechten und ironische Spiel der Selbstzerfleischung. Die 
Generation eines Jean Paul, Hölderlin, Wackenroder und 
Novalis ist dahin. Humor und großes, echtes Pathos ist 
verloren. Sehdelmanns Zeitgenossen sind Grillparzer, 
Immermann, Grabbe, Naimund, Annette, die alle noch 
11) Kasseler Allgemeine Zeitung 9. April 1828.
	        
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