Gegenwart des bildenden Gedankens Zu spüren, und die
kluge, kalte Munterheit, die Gewandtheit und Ungezwun
genheit, der Aberglaube und die Bigotterie, die Men
schenverachtung und die instinktartige Grausamkeit Lud
wigs XL, seltsam verbunden und gekreuzt in der doppel
ten Überlegenheit eines Königs und eines Mannes von
scharfem Geist und zähem, nachhaltigem Charakter, das
alles entwickelt unser fleißiger Künstler auf eine Art,
worin sich ein sorgfältiges Studium und ein glücklicher
Takt in gleichem Grade kund geben. Wenn auch vielleicht
in einzelnen Details noch manches gleichartiger mit dem
Ganzen verbunden und fremden Anklängen und Zufäl
ligkeiten mehr entzogen werden müßte, so verschwindet
dieses doch ganz und gar gegen die Fülle von Wahrheit
und Charakteristik, welche in den Szenen entfaltet wurde,
wo sogar die Scherze und das Trällern des unheimlich
ausgeräumten Königs höchst bezeichnend waren, wo sich
in Ludwig wieder der überlegene Geist, der französische
König und der echte Kapetinger, in allem doch wie elek
trisch von Blitzen der Tyrannennatur durchzuckt, zeigt.
Ludwig XI. ist eine von Sehdelmanns vollendetsten
Nöllen- er wird darin vor jedem Publikum seines Er
folges sicher sein" 10 )
Und ferner wird Seydelmanns Kunst in „Ahnen-
st o l z in der K ü ch e" von dem gleichen Kritiker vier
Tage später in folgenden Ausführungen beurteilt.
„S e y d e l m a n n macht immer Epoche in diesem
Stück. Er spielt die Nolle in der Tat mit voller, spru
delnder Laune- was mich aber betrifft, so meine ich, daß
die Laune nicht ganz hinreicht zu einer bestimmten komi
schen Darstellung. Es genügen ihr zu sehr die allgemei
nen Absichten, welche jedoch von flüchtiger, ja nicht
immer dramatischer Natur sind, zumal da, wo die Laune
selbst ausgeht, oder keine Nahrung mehr findet, da denn
der trockene Boden des Stoffs allzu sichtbar wird, wenn
nicht eine, ich möchte sagen, eigensinnige vis cómica
vor die Bresche tritt. Nun freilich, die fehlt Herrn
Seydelmann keineswegs- aber der künstlerische
Eigensinn, von dem ich eben gesprochen, — ich meine den
Eigensinn, welcher gegen den Stoff gewandt, nicht von
ihm abläßt, er habe ihn denn durch und durch besiegt,
gewonnen und dem eigenen bildenden Genius assimiliert,—
diesen schönen Eigensinn, welchen Herr Seydelmann
auf seine größeren, wichtigeren, ernsteren Rollen, beson
ders auf die historischen, verwendet, — er widmet ihn
schon viel seltener den kleineren, komischen Aufgaben.
Ich weiß nicht, ob das nicht in einigem Zusammenhang
steht mit dem durch vielen Beifall und vieles Beispiel
auf allen unseren Bühnen verbreiteten Irrtum, das bei
den komischen Darstellungen Laune, eigene Lust, Gabe
und Naturell, wie sie in munteren Gesellschaften häufig
Glück machen, schon ausreichen und alles Erforderliche
verfangen müßten. Ich bin dieser Meinung nicht! Ich
glaube, daß Ergötzung durch scherzhaftes Talent eins, und
komische, dramatische Darstellung ein anderes ist. Und
nun von der Darstellung unseres Kochs zu sprechen.
Was, meiner Meinung nach, der echten, dramatischen
Komik noch fehlte, das war die Fülle und Breite,
welche allein eine natürliche Folge aller fruchtbaren
komischen Momente Zuläßt. Die Handlung des Stückes
an sich ist unbedeutend, null. Man hat bloß die Lächer
10) Kasseler Allgemeine Zeitung, 5. April 1828.
lichkeit, die Ostentation und das Pathos bornirter Her-
kunfts- und Standes-Ambitionen durch die Karrikatur
einer narrenhasten und hitzigen Eitelkeit in einer subalter
nen Stellung parodieren wollen- jede andere Handlung,
woran dieselbe Entwicklung möglich war, wäre obensogut
gewesen. Das Wesentlichste sind die einzelnen Züge der
Hauptperson, und so drollig dieser auch gegeben worden
ist, so kommt es mir doch vor, als ob bei der Hast, womit
der Künstler sich jeden Augenblick in den Genuß der
Güter seiner Nolle setzte, die Ökonomie derselben gelitten
hätte, so daß nicht aller mögliche Ertrag davon gewonnen
werden konnte. Phantastisch und zerfließend, wie aristo
phanische Fratzen, dürfen überhaupt solche Figuren nicht
sein, weil ihr Komisches sich zum großen Teile erst aus
einer Neihe von lebendigen Kontakten und Durchkreuzun
gen mit wahrhaften Verhältnissen, Gefühlen und Antrie
ben entwickelt, also einer größeren Unterlage von ganz
naher Wahrheit bedarf, und sogar Sentimentales, und
zwar nicht gerade parodirtes, sondern auch (natürlich bis
zu einem gewissen Grade) echtes Sentimentales in sich
aufnehmen kann. Je mehr hierbei die Absicht der
Parodie zurück tritt, desto echter und reicher wird ihre
Wirkung, welche ja meist in der Kombination, in dem
Verhältnis der Folgen und Mittel zu der winzigen Be
schaffenheit der Ursachen und Zwecke liegt. So müßte
denn Batel, neben seiner schwachen Seite, doch auch noch
mehr Fleisch und Blut haben, etwas mehr Individuum,
etwas mehr ein Vater und Hausoffiziant sein- er müßte
nicht selbst zu erkennen, zu überschauen scheinen, sich
weder selbst kommentieren, noch sich, wenn auch so leise,
selbst verspotten. Eben dieses vollständige Nichtahnen des
Komischen, diese Befangenheit in dem eigenen Wesen ist
das lächerlichste, und selbst die schöne Gelegenheit, das
feierliche und pathetische der historischen und tragischen
Wichtigkeit zu parodieren, müßte, meine ich, mit mehr selbst
genügsamer, selbsterfüllter Behaglichkeit und Ausführung
benutzt werden, wobei zugleich die karakteristische Nei
gung zu theatralischem Pomp und deklamatorischem
Schmuck ihr Teil erhalten könnte. Das Alles behandle
ich deshalb so umständlich, weil für denjenigen, welcher
so gut weiß, was man sagen will, unsere Worte am
wenigsten verloren sind, und ohne darum im mindesten
entschlossen zu sein, in Zukunft irgend etwas von den
vielen spaßhaften und drolligen Zügen, womit Seh -
d e l m a n n uns ergötzt, am wenigsten aber die possir-
liche und treffende Art zu entbehren, womit Vatel, im
Gefühl besseren Daseins, deutsche Köche und Küchen-
Terminologie behandelt." ")
Mit diesen Sätzen ist die ironische Stellung der spät-
romantischen Nichtung in der Kunst Sehdelmanns sicher
gekennzeichnet. Man spürt die Schätzung und Freude der
Kunst Seydelmanns, man empfindet aber auch die leich
ten Bedenken. Es ist nicht die freie, unbefangene Komik,
die ihre komische Wirkung in nichts ahnt noch berechnet,
sondern es muß, „wenn auch noch so leise", sie selbst ver
spottet worden sein. Das ist das romantische Spiegel
fechten und ironische Spiel der Selbstzerfleischung. Die
Generation eines Jean Paul, Hölderlin, Wackenroder und
Novalis ist dahin. Humor und großes, echtes Pathos ist
verloren. Sehdelmanns Zeitgenossen sind Grillparzer,
Immermann, Grabbe, Naimund, Annette, die alle noch
11) Kasseler Allgemeine Zeitung 9. April 1828.