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mächtig wurde er von einer Probe weggetragen, ein Kur
aufenthalt in Teplit; war nötig geworden 5 ).
Als Feige Sehdelmanns Spiel in Prag gesehen hatte,
wünschte er ihn für die Kasseler Bühne Zu gewinnen.
Mit der Aussicht auf eine lebenslängliche Anstellung
und mit Pensionsanspruch für seine Frau folgte er dem
Nus nach Kassel. Er erhielt ein jährliches Gehalt von
1200 Neichstalern. In Prag hatte er sich soweit ausge
bildet, daß er nun für den klaren und fest umrissenen
Aufgabenkreis der Charakterdarstellung verpflichtet wurde.
bemüht war"), während jene anderen Autoren sicherlich
noch geringere Ansprüche stellten und ganz einer allge
meinen Mittelmäßigkeit der Zeit verfielen. Diese und
andere Rollen mußte Seydelmann geben, wie dies ein
alltäglicher Theaterplan damals wie heute zu fordern
hat. Aber auch größeren Anforderungen konnte er ent
sprechen, als er Gelegenheit erhielt, den Shylock zum
ersten Mal in Kassel 6 7 ) bekannt zu machen.
Seydelmann hatte sich in Kassel mit seinem leiden
schaftlichen Spiel bald einen großen Verehrerkreis ge-
Das alte Kasseler Hoftheater
Am 23. Oktober 1822 trat Seydelmann zum ersten Mal
in Kassel auf, als Fritz Berg in dem Familiengemälde
„Weltton und Herzensgüte" in vier Aufzügen von F. W.
Ziegler. Oie Zeitung kündigte an: Herr Seydelmann
vom ständischen Theater zu Prag als Antrittsrolle. Am
Sonnabend, dem 26. Oktober, spielte er den Sir Gott
lieb Koth in „Parteienwut oder die Kraft des Glau
bens", einem Originalschauspiel in fünf Akten von F.
W. Ziegler. Zwei Tage später trat er in dem „Tages
befehl", einem Drama in zwei Akten von Karl Töpfer,
und in dem einaktigen Lustspiel von Schall „Trau,
schau, wem", auf. Karl Töpfer (1792—1871) stellte
eine erfreuliche zeitgemäße Begabung dar, die mit
gutem Gewissen dem kulturellen Leben zu dienen
5) H. Th. Nötscher a. a. O.
schaffen. Die Bevölkerung und der Hof zollten ihm star
ken Beifall, und man wußte sein Können sehr zu wür
digen. Bei der damaligen hohen Schulung und der leben
digen Teilnahme des Publikums, die allem Theatrali
schen entgegengebracht wurde, mußte die verantwortungs
volle und ernsthafte Arbeit Sehdelmanns bald erkannt
werden. Die Fähigkeit, Aufgabe und das nötige Maß
des Schauspielers im gebührenden Einklang zu erkennen,
diese Gesetze des Spielers aus einer gepflegten und ge
übten Bühnensicht zu erkennen, war stärker verbreitet als
heute. Die Begeisterung für das Theater kannte größere
Ausmaße, und man lebte nachhaltiger mit der Bühne.
Daß damit natürlich auch die Tratsch- und die Klatsch
sucht, die sorgsam behütete bürgerliche Sicht in der An
6) Karl Holl: Geschichte des deutschen Lustspiels, Leipzig 1923.
i£7) Wilhelm Bennecke a. a. O.