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Wie das Theatergebäude eine großzügige Erneuerung
erfuhr, so bemühte sich auch der Kurfürst um eine Auf
frischung und höhere künstlerische Leistung der einzelnen
Kräfte. Sein Bedürfnis, eine glänzende und reiche Bühne
zu besitzen, erforderte, daß Feige, der Theaterintendant,
eine große Kunstreise unternehmen mußte. Feiges Kennt
nis der deutschen Theaterverhältnisse und seine Be
ziehungen Zu den einzelnen Leitern der deutschen Bühnen
gestatteten es, daß er ein künstlerisch großes und reich
haltiges Theaterpersonal nach Kassel verpflichten konnte.
Seine Sachkenntnis und menschliche Art befähigten ihn,
die Erwartungen, die der Kurfürst an sein Theater stellte,
zu erfüllen. Unter seiner Leitung entwickelte sich die Be
deutung und angesehene Stellung der Kasseler Bühne.
Auf dieser Kunstreise nun, die ihn an alle größeren
Bühnen führte, traf er in Prag Karl Seydelmann. Mit
Karl Sehdelmanns Tätigkeit am Kasseler Theater hatte
die kurhessische Bühne eine erste Kraft der damaligen
Theaterwelt gewonnen. Künstler wie er, wie Ludwig
Löwe, Leo, Gaßmann, wie Ludwig Spohr, Gerstäcker,
Hauser, Hennriette Schmidt und manche andere, verbrei
teten den Nus der Kasseler Bühne weit in den Theater
kreisen der anderen deutschen Landschaften.
Seydelmann war als Sohn eines gut gestellten Kauf
mannes 1793 in Glatz geboren. Wenngleich er auch
schon frühzeitig Liebe und Neigung für Buhne und
Theater bewies, so versuchte er es dennoch mit der mili
tärischen Laufbahn, der er mit mancherlei Schwierigkei
ten 1815 wieder entkam. Am Breslauer Stadtheater
sammelte er seine ersten Erfahrungen. Hier erlebte er auch
seine ersten Schwierigkeiten, die sogar so stark in Erschei
nung traten, daß der Theaterdirektor dem jungen Seydel
mann riet, die Bühne Zu verlassen. In diesen kritischen
Stunden bewies er Zum ersten Male seinen zähen Wil
len, so daß er trotz mehrfachen Abratens unerschütterlich
seiner starken Neigung zum Theater treu blieb und mir
aller Kraft sein Ziel weiterhin verfolgte. Sein Ausspruch,
„Und ihr sollt sehen, ich werde doch noch ein Schauspie
ler'', offenbart seine Energie. Er verließ seine Breslauer
Stellung und ging 1819 nach Gratz in der Steiermark.
„Die künstlerische Einsicht, die ihn vor den meisten seiner
Kunstgenossen auszeichnete, seine früh entwickelte Ge
schicklichkeit, die Menschen zu behandeln und für seine
Zwecke zu nützen, verschaffte ihm schnell das Vertrauen
der dirigierenden Kavaliere und damit das Amt der
Schauspielregie. Sein leidenschaftlicher Ehrgeiz, der
brennende Trieb, sich auszuzeichnen und andere zu über
ragen, ließen ihn dies Vertrauen durch einen so unge
stümen Eifer, einen so angestrengten Fleiß rechtfertigen,
daß seine Gesundheit dadurch den ersten Stoß erhielt.
Er übte sich hier vielfach in komischen Nöllen, in denen
er den Mangel der natürlichen komischen Kraft durch
charakteristische Naturnachahmung zu ersetzen strebte." 2 )
Nur dreiviertel Fahr dauerte seine Gratzer Zeit, da
das Theater einging und sein Vertrag auf drei Jahre
nutzlos geworden war. Seydelmann ließ Frau und Kind
in Gratz und versuchte vergeblich, in Preßburg und Wien
eine Anstellung zu erhalten. Schließlich landete er in
Ollmütz an einer wenig erfreulichen Kunstanstalt, einem
besseren Schmierentheater, das über einem Ochsenstall
2) Eduard Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst,
neu bearbeitet von Willy Stuhlfeld, Berlin 1929.
den musischen Bedürfnissen huldigte und dort Theater
kultur trieb. Die Not zwang ihn, hier einen Vertrag zu
schließen. Jedoch die zunehmende Mißgunst seiner Kollegen,
die Zeugnisse arger Gehässigkeit und geringer mensch
licher Bildung, die hemmungslose und brutale Art der
Behandlung, der er ausgesetzt war, zwangen ihn, Ollmütz
aufzugeben. Zu deutlich hatte sich in Kurzem der Unter
schied der Begabungen ergeben, und der schlecht ver
hehlte Neid machte Seydelmann den Aufenthalt uner
träglich.
In dieser Not schrieb Seydelmann an Holbein nach
Prag und bat um eine Anstellung. Noch wußte man
nichts von Seydelmann, noch wußte er selbst nicht, welche
Nöllen seiner Kraft lagen. Er konnte noch kein Gebiet
angeben, er schrieb nur freimütig: „Ich glaube ich habe
Talent, allein ich weiß nicht, wo es hinaus will. Ich
glaube, Sie würden es bald sehen und ihm freundlich
den Weg zeigen. Engagiren Sie mich, wofür und für
was Sie immer wollen. Ich ergebe mich Ihnen unbe
dingt. Wenn Sie mich nicht so stellen können, daß ich
brauchbar bin, so ist's Nichts mit dem Theater und ich
muß einen anderen Weg einschlagen. Ich habe Bildung,
Fleiß und ein dankbares Herz. Wagen Sie es mit
mir ." :i ) Holbein nahm sich Sehdelmanns an und ließ
ihn nach Prag kommen. Diese Tat ist stets eine bemer
kenswerte Geste in Holbein's Leben geblieben. Er durfte
in seiner späteren Laufbahn, die ihn von Prag nach
Hannover und schließlich zum Wiener Vurgtheater
führte Z, stets auf eine große Dankbarkeit Sehdelmanns
rechnen. Holbein erkannte und förderte das Talent
Sehdelmanns, der bald die größeren Nöllen erhielt und
seine künstlerische Deutungskraft in den Charakterdarstel
lungen stets nachhaltiger erprobte und bewies. Größere
Aufgaben wurden an ihn gestellt, und er vermochte bald
Theater und Publikum zu überzeugen, daß eine außer
gewöhnliche Begabung sich zu entfalten trachtete. Holbein
ermunterte und betreute ihn. Seydelmann erwarb sich
in Prag einen Nus, der allmählich auch außerhalb ver
nommen wurde.
Noch aber ist die Prager Zeit die eigentliche Lehr
epoche. Zum ersten Mal kann er im gemäßen Nahmen
seine Kräfte entfalten. Die Mimik und Physignomie
erzwingt er sich, und mit hohem Ernst aber auch
nicht weniger starkem Ehrgeiz erreicht er die Schärfe
und psychologische Schlagkraft seiner Nöllen. Damit
wendet er sich gegen die bisherige Form einer klaren
und ruhigen Pathetik, die aus dem Gleichmaß aller
Kräfte die einzelnen Unterschiede zeichnet und stets
das harmonische Verhältnis des Menschlichen als Grund
lage wahrt. Sehdelmanns Prager Zeit bestimmt die
Wendung gegen die bisherigen Spielgesetze, die er und
Ludwig Devrient in der deutschen Schauspielkunst durch
brechen. Die Anstrengungen, die Seydelmann seinem
Körper Zumutete, die Auspeitschung der Nerven, um die
Grausamkeit und einseitige, lasterhafte Zuspitzung der ein
zelnen Charaktere zu erzielen, die angestrengte Leiden
schaftlichkeit des ganzen Spieles griffen seine Gesund
heit stark an. Krämpfe im Unterleib traten ein, ohn- 3 4 *
3) H. Tb. Nötscher: Sehdelmanns Leben und Wirken, Berlin
1843.
4) Hans Calm: Kulturbilder aus der deutschen Theater
geschichte, Leipzig 1925.