Full text: Hessenland (49.1938)

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sammlung des Germanischen Nationalmuseums in Nürn 
berg, wie auch die Staatliche Kunstbibliothek in Berlin 
keine auf. 
I. Stühle mit dem Doppelvogel. 
Bekannt im Schrifttum über Volkskunst ist eine von 
Robert Forrer (Von alter und ältester Bauernkunst, Paul 
Nesf Verlag Eßlingen) im Jahre 1906 gebrachte Ab 
wandlung der sogenannten Doppeladler st ühle 
in einer Abbildungssolge von vier Bauernstühlen aus 
dem elsüssischen Museum in Straßburg °), die wir in un 
serer Abbildung 2 ähnlich, nur wesentlich erweitert, 
an einer Abfolge von 20 hessischen Bauernstühlen Zeigen 
wollen. Forrer schreibt Zu seiner Abbildung 2—5: 
„durchbrochen verzierte Lehnen altelsüssischer Vauern- 
stühle des 17. und 19. Jahrhunderts, veranschaulichend, 
wie das Bild des österreichischen Doppeladlers unter der 
Hand bäuerlicher Künstler verroht und bis Zur Un 
kenntlichkeit des Vorbildes neue Formen annehmend sich 
umbildet". Abbildung 3 bei Forrer entspricht nun fast 
vollkommen dem Stuhl aus Buchenau unserer Abbildung 
26. Da nun im Biedenkopfer Heimatmuseum noch die 
Lehre (Abbildung 4u) zu diesem Stuhl, aus einer Buche- 
nauer Schreinerwerkstatt stammend, vorhanden, der Stuhl 
also einwandfrei hessischer Herkunft ist, folgt daraus, daß 
die Umbildung und „Verrohung" der Dop 
peladlerform nicht bei in elsüssischen und 
nicht beim hessischen Dorfschreiner erfolgt 
ist, sondern bei städtischen Musterzeichnern oder Form- 
stechern, die vielleicht in Augsburg, Nürnberg oder Frank 
furt, oder sonstwo wohnten und deren Musterblätter von 
Tirol bis Pommern den Schreinern Zum Vorbild dien 
ten. In viel größerem Maße, als wir gemeiniglich an 
nehmen, haben einst die städtischen Handwerker nach 
Musterstichen und VorZeichnungen gearbeitet. Erst an 
der Schwelle zum und Zu Beginn des 19. Jahrhunderts 
können wir im bäuerlichen Handwerk beachtliche 
6) Abb. auch abgedruckt in F. Nud. Uebe, a. a. O. Seite 210. 
Leistungen einer eigenen Bauernkunst buchen, als 
nämlich die Stadt aus vielen Gebieten keine für den 
bäuerlichen Geschmack genießbaren Vorbilder mehr bot. 
Zugegeben, daß wir oft mit Forrer von einer verroh- 
t e n Umbildung der Grundformen sprechen können, so 
zum Beispiel, wenn das Gesicht von den Doppeladler- 
köpfen allmählich bei Abbildung 2 über m, n bis r 
schließlich in s auf den Flügeln landet, ebenso steht die 
Bereicherung des Stuhles aus Unterrosphe Abbildung 2, h 
durch Schnitzerei am ungeschickten Ende der Ent 
wickelung, nämlich der gänzlichen Zersormung einer einst 
klaren Form. Übersehen dürfen wir aber aus der anderen 
Sette nicht, daß auch eine Fülle formschöner Umwand 
lungen Zeugnis ablegt von reicher künstlerischer Phanta 
sie der Zeichner und ebenso der Dorfschreiner- gar man 
ches Muster überragt weit seine oft langweilige Aus 
gangsform. 8 m einst kurhessischen Oberhessen und dem 
Hinterland verbreitet sind die Formen Abbildung 2, 6 , 
6 , g, k und vor allem I und q. Bei c, einem Stuhl, 
der aus dem Frankfurter Kunsthandel in das Marburger 
Museum gekommen ist, scheinen Zwei Greifen über den 
Stuhlrücken Zu kriechen, er ist unmittelbar Vorbild für 
die Form Abbildung 2, d aus dem Dorf Allna bei Mar 
burg und schließlich auch für 6 . Ein Vergleichsstück aus 
Südhannover aus der Gegend von Göttingen, sehen wir 
in Abbildung 4, d. Diese Lehne ist eine Kombination 
der Formen Abbildung 2, d, g und k. Die Schreiner 
haben die Konturen oft noch mit einer Linie aus punkt 
artigen Sternen betont, die mit einer Stahlpunze einge 
schlagen sind, die Jahreszahlen und ihre Umrahmung 
sind flach eingeschnltten. 
Doppeladlerstühle finden wir, als verbreitetste Form 
der Brettstuhllehnen, von Südtirol bis Iamund in Pom 
mern und dem Memelland über das ganze deutsche Ge 
biet. Selbstverständlich ist nicht der österreichische Doppel 
adler, der „Adler des Heiligen Römischen Reiches Deut 
scher Nation", der sich erstmalig 1325 auf einer unter 
Ludwig dem Bayern geschlagenen NeichsmünZe zeigt, 
Ur- und Vorbild. Die Form des Doppeladlers ist sehr 
Abbildung 4 
a Heimatmuseum Biedenkopf, Stuhlschablone aus Buchenau, 
Buchenholz 12 mm stark. 
b aus dem Kreise Marburg, 20 mm stark, schwarze und 
weiße Intarsia. 
c Heimatmuseum Biedenkopf, Buchenholz poliert, schwarze 
und weiße Intarsia. 
d Museum der Grafschaft Hoya-Diepholz in Nienburg/Weser, 
Eichenholz 22 mm stark, deckend hellblau gestrichen, aus 
der Gegend von Göttingen (Südhannover).
	        
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