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Edelhof von Crainsfeld
Sämtliche Aufm: Ganderl
ließen und ihre Erfahrungen und Kenntnisse, sowie den
Sinn für harmonische Gestaltung immer wieder vererbt
haben.
Es waren ganz bestimmte Valkenverbindungen- am be
kanntesten ist die besonders bei den Eckpfosten immer
wiederkehrende Balkenanordnung des „wilden Mannes",
die Anfang des 17. bis Mitte des 19. Jahrhunderts an
gewandt wurde. Teils in wuchtiger, fast verschwenderi
scher Fülle (Schwalm, Kreis Marburg), teils in leichter
Bauweise (Niederhessen) hat man ihn ausgeführt. Wie
überhaupt das Fachwerk in Hessen landschaftlich-stamm-
lich und Zeitlich große Wandlungsfähigkeit aufweist.
Die Schmuckformen am Gebälk sind zugleich uralte
Sinnbilder. Sie sind ein Stück versunkener, heimatlicher
Gedankenwelt und helfen das Wissen über die Vorstel
lungswelt unserer Vorfahren auf heimatlichem Boden ver
vollständigen. Diese Sinnbilder zeigen sich in den viel
fältig gefügten Hölzern- es werden auch Eck- und Mit
telständer, Kopfbänder, Füllriegel und Türumrahmungen
mit flachen (besonders im 17. Jahrhundert) oder kräftig
hervortretenden alten Motiven beschnitzt. Doppelspirale,
einfache Spirale, in ihrer vielgestaltigen Anordnung,
Kreis, Stern, Nadkreuz, Raute in ihren verschiedenen
Verbindungen, kehren als Schmuckform an alten bäuer
lichen Fachwerkbauten immer wieder. Es ist ein verbor
genes Ahnenerbe.
Fragt man einen ländlichen Zimmermeister über die
Bedeutung dieser oder jener Form, so erhält man mei
stens ungenügende Auskunft, wie: „das hat mein Groß
vater und Vater auch immer so gemacht", oder, „so hab
ich sie auf der Wanderschaft bei anderen Meistern ange
bracht". Bei den Bauernhandwerkern der letzten Hundert
Jahre vermißt man das tiefe, gründliche Wissen um den
Sinn der überkommenen Formen. Die Meister früherer
Jahrhunderte wäre von anderer Art. Sie überlieferten
uns nicht nur die technischen Fertigkeiten, sondern ihre
„Kunst", d. h. eine festliegende Ornamentik und einen
ausgesprochenen Stil. Wohl war der Bauherr bei Aus
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führung seines Baues mitbestimmend, doch flocht der
Zimmermeister unverkennbar seine charakteristischen Merk
male in das Bauwerk.
Einen wichtigen Faktor bildete die Verufstradition.
Nicht nur die angewandten Techniken sind auf geraden
Wege und unverfälscht überliefert worden, sondern auch
die alten Bräuche, die im Zimmermannsgewerbe eine
wichtige Nolle spielten. Ein Quell uralter Kraftäußerung
konnte hier, wie auch in anderen ländlichen Handwerken
seine Beständigkeit durch Jahrhunderte erhalten. Der
alte Zimmermeister hielt am alten fest. Er setzte sein
bestes Können daran, etwas besonders Schönes zu schaf
fen. So strahlen noch heute viele Fachwerkhäuser diese
Freude an der Arbeit aus und zeugen von reicher, deut-
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