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Photoreisen durchs Hessische Land gar schweres Gepäck
mitschleisen mußte. Die Schwierigkeiten der Technik
brachten es aber mit sich, daß Bickell nur wertvolle Auf
nahmen machte, die bis ins Kleinste durchdacht waren.
Er konnte es sich nicht leisten, irgendwelche Fehlaufnah
men zu machen, und hatte es sich darum auch angelegen
sein lassen, mit nur erstklassiger Apparatur und Optik
zu arbeiten, die durch seinen Erfindergeist immer und
immer wieder verbessert wurden. Bickell stand mit
Deutschlands führenden Photofirmen und optischen Wer
ken in Verbindung- selbstlos überließ er ihnen seine er
findungsreichen Ideen, sie aber dankten ihm, indem sie
ihm gern Apparate und Objektive seiner Konstruktion ab
gaben. Es war ein für beide Teile fruchtbarer Austausch.
Der von Bickell hinterlassene vielfältige Schriftwechsel,
seine Zahlreichen exakten technischen Zeichnungen, nicht
zuletzt aber die Überreste seiner vielen Apparate mit den
von ihm daran angebrachten technischen Verbesserungen
(er war ja ein durchaus perfekter Schreiner, Schlosser,
Feinmechaniker und Optiker!) lassen ihn durchaus als
den Pionier der Photokunst erscheinen- daß sein Name
mit großen Erfindungen nicht verknüpft wurde, ist ledig
lich seiner übergroßen Bescheidenheit zuzuschreiben —
„Vom Rühren der Lärmtrommel bin ich kein Freund",
schreibt er ganz schlicht.
Um 1870 hatte er mit der Photographie begonnen
unermüdlich war er tätig, mittels dieser von ihm Zur
Kunst erhobenen Technik „den gegenwärtigen Bestand an
festen und beweglichen Denkmälern abgeschlossener Stil
perioden in möglichster Vollständigkeit und Objektivität
festzulegen zu dem Zwecke, den Mitlebenden und der
Nachwelt einen tunlichst vollkommenen Ersatz für die
Autopsie der entlegenen oder zerstörten Monumente zu
vermitteln". Die Regale seines „Denkmäler-Archivs"
hatten sich mit wahren Kulturschätzen gefüllt. Er aber
hatte seine körperlichen Kräfte und seinen finanziellen
Rückhalt dabei verzehrt. Auf Dank hatte er nie Anspruch
erhoben, der Erfolg seiner Arbeit war ihm Dankes ge
nug- er war halt Idealist durch und durch. Welche
Freude aber mußte es für ihn sein, als das Jahr 1892
ihm eine Anerkennung von damals ungewöhnlicher Art
brachte und ihn wenige Wochen darauf mit Pflichten be
traute, die ihm so ganz lagen und deren Erfüllung ihm
auch die wirtschaftlichen Sorgen abnahm: Am 30. Januar
ernannte ihn die Philosophische Fakultät der Landes
universität zu ihrem Ehrendoktor, am 23. April
ward er zum ersten B e z i r k s k o n s e r v a t o r für Hes
sen-Kassel gewählt. So lebte sein Schaffensgeist im letz
ten Jahrzehnt seines Lebens nochmal auf. Wohl war
er bereits ein gebrechlicher Mann- sein körperliches Lei
den stand seinem Streben oftmals entgegen. Und doch
erfahren wir aus dem Bericht, den sein Nachfolger Alhard
von Orach 1904 erstattete, soviel von positiven Leistungen
des Bezirkskonservators Ludwig Bickell, daß darob alles
Klagen über mancherlei Versäumnisse zu verstummen
hat. Das stolze Backhaus, das der Marburger Elisabeth-
kirche solch trefflichen Hintergrund gibt, der Turm der
Stiftsruine zu Hersfeld, von dessen Höhe herab die Lul-
lusglocke erklingt, und viele andere steinerne Zeugen
einer großen Vergangenheit — sie ständen heute nicht
mehr, wären untergegangen wie so vieles andere, dessen
Wert die Menschen jener Zeit nicht zu erfassen in der
Lage waren, wenn er nicht gewesen wäre, der Bezirks
konservator Dr. h. c. Ludwig Bickell!
1901 erlebte sein Einsatz für die Erhaltung und Er
forschung der hessischen Baulichkeiten seine besondere
Krönung: sein großes Werk über Gelnhausen erschien,
womit er für das Inventarisationswerk der „Bau- und
Kunstdenkmäler Hessen-Kassels" eine allersolideste Grund
lage schuf. Die Arbeit fand weithin Anerkennung, und
der Erfolg spornte ihn an, in gleicher Weise Fritzlar zu
bearbeiten. Doch das Schicksal hatte unserm Ludwig
Bickell frühzeitig ein Ziel gesetzt. Am 20 . Oktober
1901 schloß er die Augen nach einem Leben, das ihm
Sorgen und Entbehrungen, Undank und Spott ge
bracht hatte, das aber so unendlich reich war an
sichtbaren Erfolgen. Edward Schröder würdigte den
charaktervollen Mann und sein Werk am Grab mit wohl
abgestimmten Worten, die auch jetzt zum Jubiläum wie
der auflebten. Vor allem aber feiert sein reiches Schaf
fen nun ein Wiederauferstehen: Im Museum der Mar
burger Universität ist (bis Ende Oktober) ein Quer
schnitt gegeben durch das Wirken dieses Genies. Per
sönliche Erinnerungen, die vielfachen literarischen Ar
beiten, wertvolle Aufzeichnungen, photographische Appa
rate, Erzeugnisse seiner Kunstfertigkeit und viele seiner
vorzüglichen Photographien — das alles gibt uns den
rechten Begriff von dem Lebenswerk des verdienstvollen
Jubilars.
Zimmermannskunst in Hessen
Von August Gandert
Bäuerliche Handwerkskunst ist zweckmäßig und schön.
Immer bildet das konstruktiv Zweckmäßige mit dem deko
rativ Schönen eine unzertrennbare Einheit. Besonders
die bäuerliche Baukunst beweist das. Überall, wo ein ge
sunder, freier Bauernstamm auf seiner Scholle gesessen
hat, war die Formgebung am Haus am reichsten.
Kaum ein zweites Gebiet in Deutschland ist so reich an
Bauholz wie Hessen- so konnte sich schon seit ältester Zeit
volksmäßige Kunst in der Holzbauweise erfolgreich be
tätigen. Kein Wunder, wenn der ländliche Zimmermeister,
selbst aus dem Gebiet erwachsen, die Gebälkfügung mit
ausgeprägten Holzverbindungen und nicht zuletzt mit
schmückenden Verzierungen meisterlich belebte. Ganze
Landschaften haben durch ihn ihr eigenes Gepräge er
halten. In der Art der Holzverbindung offenbart sich das
Wesen alter Bauerngeschlechter, die seit Jahrhunderten
an ihren Fachwerkhäusern Volkskunst und Handwerks
kunst zu einer wunderbaren Einheit Zusammenwachsen