Full text: Hessenland (49.1938)

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Hessisch-Lichtenau, Gasthof zum grünen Baum 
um 1650 erbaut, 1884 photographiert, 1886 abgebrannt 
denden Kunst traten hinzu. So fühlte er sich gewiß nicht 
wohl bei trockener Arbeit in dumpfen Amtsstuben. Als 
29jähriger quittiert er darum auch seinen Dienst und der 
junge Referendar a. D. zimmert sich nun ein Leben ei 
genster Konstruktion, er wird Privatgelehrter. Er ist sich 
wohl bewußt, daß er damit ein Leben der Entbehrungen 
beginnt, doch — so denkt er — zu meinen bescheidenen 
Lebensansprüchen wird das kleine elterliche Vermögen 
(die Mutter starb kurz, nachdem er — so pflegte er Zu 
sagen — seinen Referendar begraben hatte) schon hin 
reichen. 
Der Verlust der Eltern, dazu eigene körperliche Be 
schwerden (von Jugend an litt er unter asthmatischen 
Leiden) hatten ihn schwer bedrückt. „Als kräftiges Mit 
tel, seinen gesunkenen Lebensmut aufzufrischen", zieht 
er vor nunmehr genau 70 Jahren mit seinem Vetter, 
dem späteren Professor der orientalischen Sprachen zu 
Wien, zu einer weiten Studienreise aus: über West 
falen und Rheinland durch Belgien und Frankreich nach 
England. Sein Interesse gilt vor allem den Orgeln. 
Die Forschungen in den Kathedralen in Belgien, Frank 
reich, England, dazu die Feststellungen in Bibliotheken 
und Sammlungen zu London und Oxford, bereichern 
das Wissen ungemein, das er sich in Marburg und an 
den Orgeln in den Kirchen ringsum im hessischen Land 
angeeignet hatte. Ja, das Material, das er von seiner 
großen Fahrt mitbringt, erdrückt ihn schier. Soll er nun 
aus seinen unzähligen Aufzeichnungen, aus der Fülle 
der einschlägigen Literatur, die er auf den Bücher 
regalen seines Arbeitszimmers angehäuft hat, das 
ihm als Ziel vorschwebende große Werk über die Ge 
schichte der Orgel zusammenschreiben? Staatliche finan 
zielle Unterstützung hierfür bleibt ihm versagt, er würde 
drum kaum einen Verleger für das Monumentalwerk 
finden können — so ist das Schicksal dieser Arbeit be 
siegelt, ehe das Manuskript zu schreiben begonnen wurde. 
Das ist, nach der verkrachten Existenz des Negierungs 
referendars, der zweite große Fehlschlag im Leben Lud 
wig Vickells. 
, Doch inzwischen haben sich aus seinem Geist zwei 
Kerne herauskristallisiert, um die sein ganzes ferneres 
Leben kreisen sollte: Sammlung alten Kunst- 
u n d Kulturgutes und archivalische Festlegung der 
Bau- u. Kunstdenkmüler mittels der Photographie. 
Auf diesen beiden Gebieten hat er nun wahrhaft meister 
liche Leistungen vollbracht, zumal er sich dabei von jeg 
licher Verzettelung seiner Kräfte fernzuhalten wußte, sich 
vielmehr ganz bewußt aus die hessische Heimat be 
schränkte. 
Rur als Einsiedler konnte er die Gebiete beackern, die 
zu seinen Zeiten ja mehr und mehr Ödland wurden- die 
Schätze der Vergangenheit versanken damals unter einer- 
neuen „Kultur"schicht, deren nachgelassene leider nur 
allzu deutliche Spuren uns heute als Zeichen geistigen 
Verfalls erscheinen. Bickclls großes Verdienst ist cs, daß 
er jener Zeitströmung zum Trotz das gediegene Alte 
rettete und bewahrte, soweit er seiner nur irgendwie 
habhaft werden konnte. Man spottete seiner, wenn er alte 
verrostete Ofenplatten vom Lande mit heimbrachte und 
im Schweiße seines Angesichts zu seiner stillen Klause 
am Marburger Kalbstor den Schloßberg hinaufschleppte. 
Man lachte über ihn heimlich, wenn er einem eine durch 
Verwahrlosung unscheinbar gewordene Truhe oder längst 
abgestelltes Hausgerät abgekauft hatte. Man schüttelte 
den Kopf, wenn er von Abbruchresten alter Fachwerk 
häuser, die nur noch als Brennholz eine Verwendung 
finden sollten, Stücke an sich nahm. Und die Kinder 
kicherten hinter ihm her, wenn „der Alte" — schon in 
jüngeren Fahren wirkte er mit seinem struppigen Bart 
und seinen auf die Schulter herabwallenden langen 
Haupthaare vergreist — daher kam. Rur wenige konnten 
damals Verständnis aufbringen für ihn und seine Arbeit. 
Die Zeiten sind anders geworden. Wir erinnern uns, 
wie vor etwa drei Jahrzehnten bis in breite Schichten 
des Volkes wieder neuer Sinn erwachte. Die schönen 
alten Möbel aus der Zeit, da der Großvater die Groß 
mutter nahm, kamen wieder zu Ehren- Zinngeschirr und 
irdene Ware ward wieder vom Boden geholt und ge 
achtet- und auf das Land hinaus ergoß sich der Strom 
der „Interessenten", die aufkauften und verschleppten, 
was sie dort an neu erkanntem Kulturgut fanden. Lud 
wig Bickell hat ihnen 30, 40 Jahre voraus gearbeitet, 
und er tat es nicht aus Eigennutz, sondern ganz selbstlos, 
nur aus Liebe zur Sache! 
1875 wurde Bickell vom Hessischen Geschichtsverein 
zum Konservator der von ihm gegründeten Hessischen 
Altertümersammlung gewählt. Als drei Jahre später die 
Geschichtsvereine des Reiches in Marburg ihre Jahres 
versammlung abhielten, konnte er seine Schätze in einer 
Ausstellung im Schloß gebührend zur Geltung bringen. 
1880 wurden ihm diese Räume dann überhaupt für seine
	        
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