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recht. An die Stelle der Stammesfürsten trat der sich
bald landesherrliche Rechte anmaßende Uradel mit der
Übernahme des Großgrundbesitzes in Hausgut, sowie der
durch Lehensgut und Vasallenpflicht gebundene Dienst
adel der Grafen, Ritter und Ministerialen.
An die Seite dieser weltlichen Mächte trat schon im
8 .— 10 . Jahrhundert als machtpolitischer Faktor die
Land- und Machtgier der geistlichen Hoheitsträger der
romhörigen Kirche. Von den merowingischen und frän
kischen Königen schon mit großen Landschenkungen aus
gestattet, lassen sich die Bistümer und Klöster mit Hilfe
der Einrichtung des sogenannten „Seelgeräts" von den
Freibauern Zur Sicherung ihres Seelenheils den Hos
übertragen, den man Besitzer und Erben als Lehen Zu
rückgab.
Die Durchsetzung des Lehensshstems nach unten schritt
mit der Schwächung der königlichen Gewalt fort. Der
germanische Odalsbauer mußte sein Freigut gegen Zins-
und Dienstleistung von dem Herzog, Grafen oder Rit
ter, Bischof oder Abt als Leihgut nehmen und ihn als
Obereigentümer und Schutzherren anerkennen. So kam
das 744 gegründete Klo st er Fulda nicht nur in
den Besitz großer königlicher Forsten, sondern bemächtigte
sich auch einer erheblichen Zahl von Höfen und Dörfern
in allen Teilen des Grabfeldes und anderen Gauen, so-
daß die dringlich rechtliche Grundlage für die späteren
territorialen Ansprüche der Abtei Fulda im Fulda-, Ul
ster- und Sinntal gegen ihre Nachbarn, die ritterschaft
lichen Grundherrn und vor allem das Bistum Würz-
burg, geschaffen war.
Bereits Zu Anfang des 10. Jahrhunderts begannen
die Bischöfe von Würzburg Zufolge ihrer durch
verschiedene Gaue sich erstreckenden Immunität und an
derer Privilegien sich der Gewalt eines königlichen Kam
merherren Zu bemächtigen. 1017 erhielten sie von Kaiser
Heinrich II. die richterliche Gewalt über ganz Ostsran
ken, 150 Jahre später, 1168, verlieh ihnen Kaiser Fried
rich II. Barbarossa auf dem Reichstage Zu Würzburg
die Würde eines Herzogs von Franken. Nachdem 1197
der letzte (weltliche) Herzog von Ostfranken gestorben
war, übten nunmehr die F ü r st b i s ch ö f e von
Würz bürg als Rechtsnachfolger der fränkischen Her
zöge sowohl die höchstrichterliche (landesherrliche) Gewalt
als auch die geistliche (kirchliche) Disziplinargewalt über
den größten Teil der Rhön aus. Die höhere Gerichts
barkeit (Blutbann, vier hohe Rügen, Verbrechen) wird
den Zentgerichten, die niedere Gerichtsbarkeit (Vergehen,
Polizei) den geistlichen Ämtern und den Grundherren
übertragen, deren Besitzungen Zumeist als Allodialbesitz
(Eigentum) angesehen werden, während sie ursprünglich
Lehen aus Königsgut waren, soweit sie nicht aus Schen
kungen für Vasallendienste bestanden.
Infolge der Zunehmenden Schwächung der kaiserlichen
Zentralgewalt lösen sich im 12. und 13. Jahrhundert auch
die ostfränkischen Gaue in einzelne geistliche und welt
liche Territorien auf- Grundadel, Dienstadel und geist
liche Herren Zerreißen in Zunehmender räumlicher Zer
splitterung und in erbitterten und langwierigen Kämpfen
das jahrtausend alte Erbe der germanischen Stammes
verfassung.
Im Bereiche der hohen Rhön entwickelten sich
a) aus dem ursprünglichen Grabseldgau
1. Die Abtei Fulda im Fuldaer Kessel, Haune-
und Biebergrund.
2 . —5. Die Ritterherrschaften Schneeberg
im Gersfelder Talkessel, Ebersberg im Fulda-
Lütter-Dreieck, Eberstein im Milseburg-Massiv,
Tann im mittleren Ulstergrund sowie kleinerer
ritterschaftlicher Splitterbesitz, (von Biebra, von
Steinau u. a.)
b) aus dem Saalegau wie seinen Untergauen und dem
östlichen Grabfeldgrau:
Das Fürstbistum Würzburg und ver
schiedene Ritterherrschaften (von Bast
heim, Voite von Salzburg, von Thüngen, von
Nieneck u. a.)
c) aus dem nordöstlichen Grabfeldgrau und dem
Wistragau:
Die Grafschaft Henneberg und rit
terliche Besitzungen (von Ostheim, von
Stein, von Fladungen u. a.) im Vorland des
Thüringerwaldes.
Die weiteren Geschicke der kleineren Landschaften der
Hoch-Rhön und ihrer Bewohner vom 13.—18. Jahrhun
dert werden in der Hauptsache bestimmt durch die Kampf
stellung der beiden geistlichen Rivalen Fulda und Würz
burg gegeneinander und ihren gemeinsamen Kampf ge
gen die ritterschaftlichen Territorien, sowie durch die
Stellungnahme der Ritterbünde in der Reformation und
die strategische Schlüsselstellung der Rhön im 30jährigen
Kriege.
In dem 500jährigen Kampfe aller gegen alle, welcher
der Territorialgeschichte der Rhön sein Gepräge gibt,
treten drei machtpolitische Tendenzen be
stimmend auf:
1. Fulda versucht sich weltlich und geistlich von der
Oberhoheit Würzburgs freizumachen.
2. Fulda und Würzburg versuchen die Zer
schlagung und Unterwerfung der ritterschaftlichen
Territorien.
3. Die Ritterschaft erkämpft sich im Zuge der
Reformation gegen den machtpolitischen Druck
der beiden geistlichen Fürstentümer die Reichsun-
mittelbarkeit.
Die Abtei Fulda wurde 1388 durch Kaiser Ru
dolph von Habsburg zur Fürstabtei erhoben und besaß
somit gegenüber dem Fürstbistum Würzburg die langer
strebte landesherrliche Unabhängigkeit, während sie die
geistliche Unabhängigkeit erst 350 Jahre später erhielt.
1737 wurde die Fürstabtei Fulda zum Fürstbistum
erhoben. Die Abgrenzung der Territorien Zwischen Würz-
burg und Fulda erfolgte schließlich durch die Verträge
von Hammelburg, 1683 und 1751, nach denen die Äm
ter Hammelburg, Brückenau und die Ulsterdörfer des
Amtes Bieberstein an Fulda fielen.
G e o p o l i t i s ch wird die Rhön durch ihren mehr
zügigen Gebirgsstock in drei Einbruchsräume aufgeteilt,
auf die naturgemäß die Interessen der Anlieger einge
stellt waren:
Fürstbistum Würzburg: Saale, Brend- und Streutal.