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tischen Raume blutige und erbitterte Kämpfe getobt zwi
schen Kelten und Kalten, Hermunduren und Frankens
Kämpfe germanischer Völkerschaften in den Tälern und
auf den Bergen der Rhön um Siedlungsraum und
Stammesgrenzen, strategische Plätze und Pässe, bis sich
in der verwaltungsrüumlichen Einteilung des fränkischen
Reichsgebietes nach natürlichen und volklichen Bedingt
heiten die Grenzen des Gebirges als staatsrrechtliche
Gaugrenzen herausschälten — Grenzen, die noch heute,
nach fast anderthalbtausend Jahren, als Stammesgren-
Zen Zwischen Unterfranken, Hessen und Thüringern und
als Landesgrenzen zwischen Bayern, Preußen und Thü
ringen bestehen.
Uber die Rhön erstreckten sich in der Hauptsache Grab
feldgau und Saalegau. Das unseren ferneren Betrach
tungen zugrunde liegende Gebiet umfaßt insbesondere
die östliche Zent Fulda (oberer Fulda-, Lütter, Haune-
und Biebergrund mit Wasserkuppe- und Milseburg
massiv), sowie den im Ulstergrund liegenden Untergau
Tullifeld, beides Teile des Grabfeldgaues. An der Spitze
eines Gaues stand der Gaugraf, ursprünglich als „Send
graf" Rechts- und Sachwalter des Königs. Überliefert
sind uns Gauthinge in Geismar (825), Schwarzes Moor
(827) und Gersfeld (944). Die Grafen des Grabfeldes
sind uns von 755 ab bekannt. Der Gau als Tausend
schaft war in Zente (Hundertschaften) unterteilt. Zent
grafen saßen u. a. an den Zentgerichtsstätten Lütter und
Aura (Hilders). Aus ihnen entwickelten sich die Ämter
und im 19. Jahrhundert die Amtsgerichtsbezirke Wey
hers und Hilders.
Im 9. bis 11. Jahrhundert treten folgende Ortschaften
urkundlich auf (Dronke: Todex Diplomatien Fulden-
sis, Traditiones et Antiquitates Fuldenses, Reimer:
Historisches Ortslexikon für Kurhessen).
a) im Zentgericht Lütter: üutra (Lütter) 816, Roti-
bah (Rodenbach) 863, Hettenhuson (Hettenhausen) 927,
Geresfeld (Gersfeld) 944, Smalenaha (Schmalnau)
1011, Aldenfeldt (Altenfeld) 1048, Abbetesrode (Abts
roda) und Boppenhuson (Poppenhausen) um 1000,
Frienluten (Farnleiden) 850 und Eydes (Eselsbrunn)
1093,
d) im Zentgericht Aura: Sigifrides (Seiferts) 1057,
Wicgereshusen (Wickers) um 800, Hiltiriches (Hilders)
914, Waltgereshuscn (Wendershausen) 819, Tanne
(Tann) 912, Thiedboldeshusen (Theobaldshof) 923.
Zwei der schrifturkundlich ältesten Ortschaften unseres
engeren Betrachtungsgebietes sind Lütter und Roden
bach. Beide Siedlungen lagen auf naturlandschaftlich
waldfreien Böden, und zwar Lütter auf diluvialem
Schwemmhang am Einfluß der Lütter in die Fulda, Ro
denbach auf der Heide- und berggrasbestandenen Hoch
fläche des mittleren weißen Buntsandsteins und Röts
zwischen Küppel und Simmelsberg. Rach diesen Bei
spielen könnte, ohne einer dahingehenden siedlungskund-
lichen Untersuchung vorzugreifen, angenommen werden,
daß ein Teil der genannten und anderer Siedlungen
ihrer geologischen und pflanzengeographischen Lage nach
urlandschaftlich so gelagert war, daß sie bereits in früh-
chattischer Zeit vor der ersten Nodungsperiode entstan
den sind, sodaß also schon vor der merowingischen Zeit
ein genügend starker Siedlungskern zur Bildung des
chattischen Grabfeldgaues vorhanden gewesen ist, ja auch
sein mußte. Spielte Lütter als Gerichtsplatz bereits 70
Jahre nach der Gründung des auf steinzeitlichem Sied
lungsboden errichteten Klosters Fulda eine Rolle, so
wird Rodenbach als Grenzsiedlung an der Grenze zwi
schen Grabfeld- und Saalegau (Paßübergang Fulda—
Brendtal) anzusehen sein. Bon der „buchonischen Wild
nis" Sturmi bleibt somit nur ein allerdings zeitgerechter
tendenziöser Schatten übrig.
Die meisten genannten Urkunden sind Schenkungs
urkunden des Klosters Fulda und tragen die Namen
germanischer Freibauern- als Zeugen treten uns Män
ner entgegen, deren althochdeutsche Namen in ihrem
vollen Lautklang uns anheimeln, die aber — die Mönchs
kutte trugen.
Die Nodenbacher Urkunde vom 14. September 863
lautet in freier Übersetzung:
„In Gottes Namen vermachen wir, Nichbald und
Engilger, als Geschenk zu Ehren des heiligen Boni-
sacius, des Märtyrers Christi, dessen Gebeine im Klo
ster Fulda ruhen, in dem der ehrwürdige Abt Thioto
die Menge der Mönche regiert, alles, war wir in der
Siedlung Rodenbach, welche an der Grenze zwischen
Grabseld- und Saalegau liegt, als Eigentum besitzen
an Ländereien in Feldern, Wiesen, Weiden, Wäldern,
Wassern und Wasserläufen, ganz und unversehrt auf
die Weise, daß sie vom heutigen Tage ab dem vorge
nannten Märtyrer und bereits erwähnten Abte oder
seinen Nachfolgern in aller Unversehrtheit gehören sollen.
Diese Überlieferung ist abgeschlossen worden im
Kloster Fulda im Jahre der Menschwerdung des Herrn
863 den 14. September öffentlich vor folgenden Zeu
gen: Nichbald und Engilger, welche die Übergabe vor
genommen haben, Ellinger, Haguno, Liobger, Nandgoz,
Suinperath, Uago, Heriman, Hahumut, Benno."
Rhön unter Bischofsstab und Ritterschwert.
Die sich aus dem Eindringen römischer Rechtsanschau-
ungen und kirchlichen Machtstrebens entwickelnden Span
nungen und Interessenkümpse mußten sich naturgemäß
in starkem Maße auch in der Rhön auswirken, stießen
doch hier verschiedenartige Raum-, Volks- und Staats
grenzen aneinander.
Der zweite große Schicksalsabschnitt des Grenzlan-
des Rhön beginnt sich abzuspielen: Die Auslösung der
ostfränkischen Rhöngaue in weltliche und geistliche Ter
ritorien und damit die Unterjochung des germanischen
Freibauern zum grundherrlichen Untertanen. An die
Stelle der germanischen Volkstugend der Gefolgschasts-
treue treten Lehensansprüche und Fronhörigkeit.
Der blutsgebundene Sippen-, Siedlungs- und Stam-
messinn unserer Vorfahren hatte in der Odalsverfassung
des germanischen Volksstaates einen hochentwickelten
Rechts- und Verwaltungsorganismus gebildet, der in
der Merowinger- und Karolingerzeit von dem römisch
rechtlichen Feudalsystem verdrängt wurde. Altes Gemein
gut ward Königsgut, das sippengebundene Allod wurde
zum Feod, ;um persönlich freiverfügbaren Eigentum
statt germanischen Volksrechtes galt fränkisches Königs