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Musikjchau
Dn Ausklang der Winterkonzerte brachte in künstle
rischer Hinsicht markante Höhepunkte und im Hinblick aus
die Beteiligung des Publikums erfreuliche Überraschun
gen. Das Karfreitagskonzert und das letzte Reihen
konzert übten eine Anziehungskraft aus, die beide Male
den größten Saal der Stadt bis auf den letzten Platz
füllte. Dort war es Bachs „Matthäus-Passion", mit der
Dr. Robert L a u g s, der Konzertchor, ferner Mar
Roth- Stuttgart, Martha Schilling- Berlin, Do
rothea Schroeder - Leipzig, Martin K r e m e r als
Evangelist und Walter Kocks zu Kündern und Deutern
erhabener musikalischer Offenbarungen wurden. Im letz
ten Reihenkonzert waren es Beethovens Neunte und die
Chorphantasie, für die sich eine imponierende Schar von
Sängerinnen und Sängern, 15 verschiedene Vereine, die
verstärkte Staatskapelle, die Solisten Anny von S t o s ch,
Magda Strack, Jakob Sabel und Alfred Bor -
ch a r d t zur Verfügung gestellt hatten, von Dr. Robert
L a u g s als musikalischem Leiter zu einer monumental
wirkenden Einheit zusammengefaßt. In der Chorphan
tasie wirkten Inga Iacobsen, Franz K ö t h und der
junge Kasseler Pianist Reinhard Reif mit. Das vorletzte
Reihenkonzert machte mit der „Ersten Symphonie in C-Dur,
Werk 30" des nun 75jährigen Prinzen Alexander
Friedrich von Hessen bekannt, der Dr. Robert
L a u g s eine stets fesselnde, etliche Längen geschickt ver
deckende Deutung gab. Sigmund B l e i e r - Berlin
spielte das Violinkonzert g-moll von Max Bruch, be
einträchtigte jedoch die offenbaren Vorzüge seines Ge-
staltens durch übertriebenes Vibrato und allzuoft glei
tende Intonation. Walter V r o s e trat als Solobrat
schist in Hugo Wolfs „Italienischer Serenade" hervor.
Ebenfalls von Dr. Robert L a u g s geleitet wurde ein
Abend des A-capella-Ehors, der sich durch ausgedehnte
Konzertreisen einen Namen in Deutschland gemacht hat.
Kleinkunst im Chorgesang, Ernstes und Heiteres aus
fünf Jahrhunderten, modulationsreiche Lieder von Karl
Marx, Frauenchöre von Hans L a v a t e r und
schlichte Liedlein im Volkston von Robert L a u g s, Ka
binettstückchen musikalischer Stimmung, belebten die fein
gruppierte Vortragsfolge. Der Kasseler Oratorien-Ver-
ein hatte unter Leitung von Karl H a l l w a ch s Erfolg
mit Glucks Oper „Orpheus und Eurydike", die mit nur
geringen Änderungen der musikalischen Vorlage für den
Konzertgebrauch hergerichtet worden war. Die Gefahren
solcher Übertragungen können nur durch umso eindrucks
vollere Leistungen überwunden werden, wie wir sie von
der Altistin Margret L i n d st r ö m denn auch hörten, die
den Orpheus ausgezeichnet sang. Etwas ganz Neues
war das HF.-Meisterl'onzcrt. Prof. Dr. Peter R a a b e,
der Präsident der Reichsmusikkammer, sprach einleitend
zu mehreren tausend Jugendlichen, denen er dann mit
dem Staatsorchester Webers Oberon-Ouvertüre, Beet
hovens Es-Dur-Klavierkonzert — am Flügel Edwin
Fischer- Berlin — und Brahms zweite Symphonie
D-Dur darbot. War man, Programm und Zuhörerschaft
aneinander messend, nicht ohne Bedenken in das Kon
zert gegangen, so zeigte sich doch, daß die Suggestivkraft
hervorragender Künstler imstande ist, natürlich gegebene
psychische Begrenzungen weitgehend aufzuheben. Ergrei
fende Ruhe lag über dem Saal: Fugend im Bann un
serer Großen!
Auf kammermusikalischem Gebiet war ein besonders
starker Auftrieb zu erkennen, der nun auch wieder aus
wärtige Vereinigungen nach Kassel zog. Geradezu um
jubelt wurden das El ly -Ney-Trio (Elly Ney,
Ludwig H o e l s ch e r, Max Strub) und der Sonaten
abend Wilhelm Kemps- Georg Keule nkampf-
Berlin. Das Schroeder-Quartett (Rolph
Schroeder, Willi R u l l m a n n , Otto G e e s e,
Hans Berckmann) setzte die begonnene Konzertreihe
mit einem vierten und fünften Abend fort. Viel Idealis
mus, viel Opfersinn und ein hohes Maß von ernster
künstlerischer Arbeit stand hinter den seit einigen Jahren
zielbewußt durchgeführten Zyklen, die mit den wichtigsten
Werken der einschlägigen Literatur bekannt machten.
Moderne Musik sollte es sein, was die Komponisten
Hermann Albus und Otto R e i n h o l d durch hervor
ragende Künstler (Georg R o t h l a u f am Klavier, Her
mann A b e l m a n n als Sänger, Willi R u l l m a n n
als Geiger) einem nicht sehr zahlreichen Publikum vor
setzten. Es erwies sich aber, daß ihre Werke bestenfalls
vor fünfzehn, zwanzig Fahren modern gewesen wären,
daß es sich also um späte Ausläufer und Nachläufer
längst überholter Tagesmeinungen und Tagesgrößen
handelte.
Vor ihrer Gastreise nach Amerika hörte man Emmi
Leisner noch einmal, die seit Jahren nicht mehr in
Kassel gewesen war. An einem dreifachen Neigen herr
lichster Gesänge — Liebeslieder von Brahms, Frauen
liebe und -leben von Schumann, Perlen aus dem „Lied
der Völker" — wurde es offenbar, daß Gesang Verzau
berung bedeuten kann. Ferdinand Lettner verstand
es ausgezeichnet, diese Kultur der Seele und des Tones
mit pianistischen Mitteln zu tragen und zu heben. Ein
gedämpftes Farbenspiel, Äußerungen sensiblen Empfin
dens, das war Raoul K o c z a l s k i s Chopinabend, der
mit brillanter Bewegtheit und glänzender Ornamentik
ebensoviel Tiefe wie Eleganz zu vereinigen wußte. Einen
Klavierabend mit klassischem Programm gab der in
Kassel geschätzte Pianist Georg R o t h l a u f. In einem
Liederabend von Maria Reinhold-Schäfer hörte
man neben klassischer und romantischer Kunst auch Zeit
genössische Kompositionen von Willi Spillings,
Otto Braun und dem bekannten in Kassel lebenden
Bruno Stürmer, dessen empfindungsschwerer
Zyklus „Stufen" eine Dichtung von Fosepha Behrens-
Totenohl, vertont. Begleiter war Otto Braun- Frank
furt a. M., der selbstkomponierte Klavierstücke beisteuerte.
Bartholomäus Ständer