Full text: Hessenland (49.1938)

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Musikjchau 
Dn Ausklang der Winterkonzerte brachte in künstle 
rischer Hinsicht markante Höhepunkte und im Hinblick aus 
die Beteiligung des Publikums erfreuliche Überraschun 
gen. Das Karfreitagskonzert und das letzte Reihen 
konzert übten eine Anziehungskraft aus, die beide Male 
den größten Saal der Stadt bis auf den letzten Platz 
füllte. Dort war es Bachs „Matthäus-Passion", mit der 
Dr. Robert L a u g s, der Konzertchor, ferner Mar 
Roth- Stuttgart, Martha Schilling- Berlin, Do 
rothea Schroeder - Leipzig, Martin K r e m e r als 
Evangelist und Walter Kocks zu Kündern und Deutern 
erhabener musikalischer Offenbarungen wurden. Im letz 
ten Reihenkonzert waren es Beethovens Neunte und die 
Chorphantasie, für die sich eine imponierende Schar von 
Sängerinnen und Sängern, 15 verschiedene Vereine, die 
verstärkte Staatskapelle, die Solisten Anny von S t o s ch, 
Magda Strack, Jakob Sabel und Alfred Bor - 
ch a r d t zur Verfügung gestellt hatten, von Dr. Robert 
L a u g s als musikalischem Leiter zu einer monumental 
wirkenden Einheit zusammengefaßt. In der Chorphan 
tasie wirkten Inga Iacobsen, Franz K ö t h und der 
junge Kasseler Pianist Reinhard Reif mit. Das vorletzte 
Reihenkonzert machte mit der „Ersten Symphonie in C-Dur, 
Werk 30" des nun 75jährigen Prinzen Alexander 
Friedrich von Hessen bekannt, der Dr. Robert 
L a u g s eine stets fesselnde, etliche Längen geschickt ver 
deckende Deutung gab. Sigmund B l e i e r - Berlin 
spielte das Violinkonzert g-moll von Max Bruch, be 
einträchtigte jedoch die offenbaren Vorzüge seines Ge- 
staltens durch übertriebenes Vibrato und allzuoft glei 
tende Intonation. Walter V r o s e trat als Solobrat 
schist in Hugo Wolfs „Italienischer Serenade" hervor. 
Ebenfalls von Dr. Robert L a u g s geleitet wurde ein 
Abend des A-capella-Ehors, der sich durch ausgedehnte 
Konzertreisen einen Namen in Deutschland gemacht hat. 
Kleinkunst im Chorgesang, Ernstes und Heiteres aus 
fünf Jahrhunderten, modulationsreiche Lieder von Karl 
Marx, Frauenchöre von Hans L a v a t e r und 
schlichte Liedlein im Volkston von Robert L a u g s, Ka 
binettstückchen musikalischer Stimmung, belebten die fein 
gruppierte Vortragsfolge. Der Kasseler Oratorien-Ver- 
ein hatte unter Leitung von Karl H a l l w a ch s Erfolg 
mit Glucks Oper „Orpheus und Eurydike", die mit nur 
geringen Änderungen der musikalischen Vorlage für den 
Konzertgebrauch hergerichtet worden war. Die Gefahren 
solcher Übertragungen können nur durch umso eindrucks 
vollere Leistungen überwunden werden, wie wir sie von 
der Altistin Margret L i n d st r ö m denn auch hörten, die 
den Orpheus ausgezeichnet sang. Etwas ganz Neues 
war das HF.-Meisterl'onzcrt. Prof. Dr. Peter R a a b e, 
der Präsident der Reichsmusikkammer, sprach einleitend 
zu mehreren tausend Jugendlichen, denen er dann mit 
dem Staatsorchester Webers Oberon-Ouvertüre, Beet 
hovens Es-Dur-Klavierkonzert — am Flügel Edwin 
Fischer- Berlin — und Brahms zweite Symphonie 
D-Dur darbot. War man, Programm und Zuhörerschaft 
aneinander messend, nicht ohne Bedenken in das Kon 
zert gegangen, so zeigte sich doch, daß die Suggestivkraft 
hervorragender Künstler imstande ist, natürlich gegebene 
psychische Begrenzungen weitgehend aufzuheben. Ergrei 
fende Ruhe lag über dem Saal: Fugend im Bann un 
serer Großen! 
Auf kammermusikalischem Gebiet war ein besonders 
starker Auftrieb zu erkennen, der nun auch wieder aus 
wärtige Vereinigungen nach Kassel zog. Geradezu um 
jubelt wurden das El ly -Ney-Trio (Elly Ney, 
Ludwig H o e l s ch e r, Max Strub) und der Sonaten 
abend Wilhelm Kemps- Georg Keule nkampf- 
Berlin. Das Schroeder-Quartett (Rolph 
Schroeder, Willi R u l l m a n n , Otto G e e s e, 
Hans Berckmann) setzte die begonnene Konzertreihe 
mit einem vierten und fünften Abend fort. Viel Idealis 
mus, viel Opfersinn und ein hohes Maß von ernster 
künstlerischer Arbeit stand hinter den seit einigen Jahren 
zielbewußt durchgeführten Zyklen, die mit den wichtigsten 
Werken der einschlägigen Literatur bekannt machten. 
Moderne Musik sollte es sein, was die Komponisten 
Hermann Albus und Otto R e i n h o l d durch hervor 
ragende Künstler (Georg R o t h l a u f am Klavier, Her 
mann A b e l m a n n als Sänger, Willi R u l l m a n n 
als Geiger) einem nicht sehr zahlreichen Publikum vor 
setzten. Es erwies sich aber, daß ihre Werke bestenfalls 
vor fünfzehn, zwanzig Fahren modern gewesen wären, 
daß es sich also um späte Ausläufer und Nachläufer 
längst überholter Tagesmeinungen und Tagesgrößen 
handelte. 
Vor ihrer Gastreise nach Amerika hörte man Emmi 
Leisner noch einmal, die seit Jahren nicht mehr in 
Kassel gewesen war. An einem dreifachen Neigen herr 
lichster Gesänge — Liebeslieder von Brahms, Frauen 
liebe und -leben von Schumann, Perlen aus dem „Lied 
der Völker" — wurde es offenbar, daß Gesang Verzau 
berung bedeuten kann. Ferdinand Lettner verstand 
es ausgezeichnet, diese Kultur der Seele und des Tones 
mit pianistischen Mitteln zu tragen und zu heben. Ein 
gedämpftes Farbenspiel, Äußerungen sensiblen Empfin 
dens, das war Raoul K o c z a l s k i s Chopinabend, der 
mit brillanter Bewegtheit und glänzender Ornamentik 
ebensoviel Tiefe wie Eleganz zu vereinigen wußte. Einen 
Klavierabend mit klassischem Programm gab der in 
Kassel geschätzte Pianist Georg R o t h l a u f. In einem 
Liederabend von Maria Reinhold-Schäfer hörte 
man neben klassischer und romantischer Kunst auch Zeit 
genössische Kompositionen von Willi Spillings, 
Otto Braun und dem bekannten in Kassel lebenden 
Bruno Stürmer, dessen empfindungsschwerer 
Zyklus „Stufen" eine Dichtung von Fosepha Behrens- 
Totenohl, vertont. Begleiter war Otto Braun- Frank 
furt a. M., der selbstkomponierte Klavierstücke beisteuerte. 
Bartholomäus Ständer
	        
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