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Von der Weltenesche bis zum Waldweben in
Wagners „Siegfried" zieht sich die Baum-Se
ligkeit durch das germanisch-deutsche Denken, ge
radezu als Leitmotiv für das Vorhandensein ger
manischen Blutes und Geistes auch in fremder
Umwelt. Der Baum gab dem Menschen, und
wiederum insbesondere dem nordischen Ntenschen
den ersten und bildsamsten Rohstoff in die Hand.
Königshallen, Drachenschiffen und Stabkirchen
ließen Bäume zu einem zweiten Leben aufwachsen,
nnd griechische Tempel ahmten in Stein das
Stehen und Tragen der Stämme nach, wie spä
ter ihr Aufschießen und Sichverzweigen sich in
Säulen und Spitzbogen der Dome verewigte;
Vom hessischen Edelhirsch.
Wir waren den ganzen frühen Vormittag um-
hergepirscht, ohne Wild zu sehen. Es war sehr
neblig gewesen und gegen 11 Uhr kam die Sonne
durch. Eigentlich wollten wir nun zur Jagdhütte
zurück, -doch da die Sonne nun gar zu verlockend
herauskam und überall die herrlichen Farben des
Herbstwaldes aufleuchten ließ, entschlossen wir uns,
noch einen kleinen Umweg zu machen und einen
Revierteil aufzusuchen, wo das Wild in der mit
täglichen warmen Sonne gerne steht. Dort in der
Nähe der Fichtendickungen bieten alte Eichen zwi
schen hohen einzelnen Fichten etwas Mast, die von,
Rotwild gern angenommen wird.
Wir pirschten also ganz langsam mit halbem
Winde den schmalen Pirschpfad hoch nnd plötzlich
sahen wir aus dem hohen Adlerfarren den Kopf
eines Alttieres sich herausheben. Schnell gebückt
und möglichst lautlos ging es Schritt für Schritt
näher heran.
Da knörte der Hirsch! Gedeckt uns aufrichtend
sahen wir den Hirsch bei zwei Stücken Kahlwild
stehen und konnten ihn auf etwa 50 Meter Ent
fernung gut ansprechen. Obwohl er tief im Far
cen stand, konnten wir doch feststellen, daß er sehr
stark an Wildpret war.
Er schob sein Haupt nach vorn, legte das Ge
weih auf den Rücken und flämte, d. h. er schob die
Oberlippe zurück, um die Brunftwitternng des
Kahlwildes mit Behagen in sich aufzunehmen. Da
das Wald uns nicht bemerkte, konnten wir in aller
Ruhe mit unfern Gläsern das Geweih des Hirsches
beobachten. Ich raunte meinem Begleiter, Freund
D., zu: Abschußhirsch! Schießen! Er sprang
schnell noch einige Schritte vor und vom erhöhten
Standpunkt aus, der ihm von dem Wurzelstock
kunstgebändigtes Maßwerk der Äste trugen sie in
ihren Fenstern und Kreuzgewölberippen; nirgends
konnte sich der Mensch vom Vorbild des Gewach
senen lösen, und das war gut. Einem Baume
vergleiche ich den Menschen, der bestrebt ist, das,
was in ihm liegt, bis zur Grenze seiner Anlagen
und seiner Kraft zu entwickeln. Einem Baume
gleicht unser gesamtes Volk, das aus einem
Boden entsprossen ist und den Saft eines Blu
tes in seinen Adern bewegt und wieder bewegen
wird, wenn eö ganz zu sich selbst zurückgefunden
hat. Dann wird eö auch einmütig wieder die
Bäume ehren als köstliche Gedanken Gottes.
Von Karl L 0 tz e, Marburg.
einer Eiche geboten wurde, konnte er das Blatt des
breitstehenden Hirsches frei bekommen.
Der Schuß rollte durch die Strlle der alten
Eichen und Fichten — der Hirsch zeichnete gut und
D. konnte ihn nach etwa 60 Gängen zusammen
brechen sehen.
Nun wurde erst mal Eine geraucht, um die
starke Spannung ablaufen zu lassen. D. meinte,
er hätte den Hirsch nicht so schnell ansprechen kön
nen und den Schuß wahrscheinlich nicht gewagt.
Nach einem Schuß treten immer mehr oder
weniger starke Zweifel auf, ob man richtig ange
sprochen hat oder nicht.
Mein Eindruck während des Beobachtens war
folgender gewesen: Das Geweih war unten dick
und oben dünn, rechts eine starke Gabel und links
eine Gabel, deren vorderes Ende eine schwache An
deutung zu einem Doppelende zeigte. Die Mit-
telsprofse war sehr hoch und an der Stange breit
angesetzt, kurz und spitz, weiß poliert, wie alle
Enden. Alles Merkmale für eine unzulängliche
zukünftige Geweihentwicklung.
Als wir dann vor dem erlegten Hirsch standen,
konnten wir zu meiner Freude feststellen, daß ich
mich beim Ansprechen nicht geirrt hatte, ja, das
Geweih war eigentlich noch geringer, als ich beim
ersten Augenschein angenommen hatte und zeigte
überall die Merkmale eines schlechten Mittel
hirsches. Alter etwa 6—Zährig. Ich überreichte
dem glücklichen Schützen nach alter Jägerart
den Bruch und brachte ihm meine Glückwünsche zur
Erlegung gerade dieses Hirsches dar. Denn seine
Erlegung war im hegerischen Sinne von sehr weit
reichender Wirkung und anerkennenswerter als die
Eroberung eines guten Kronengeweihes, weil sie die