87
Hierauf antwortete Wilhelm Grimm am 16.
März 1625 mit folgendem Schreiben, welches
sich in Pfeiffers „Germania" 22. Iahrg. (Wien
1877) S. 382 ff. gedruckt findet und lautet:
,,Ew. Wohlgeboren geehrtes Schreiben vom
18. Februar habe ich von Willingshausen richtig
erhalten. Zwar hatte ich dem Herrn von
Schwerßell so genau als möglich beschrieben, wie
er verfahren müßte, wenn er einen ordentlichen
Abguß der Steine zustande bringen wollte; weil
ich aber weiß, wie wenig man auf einem Land
gute auf dergleichen eingerichtet ist, wo z. B.
schwerlich feiner Gyps vorhanden sein wird, so
erbot ich mich gleich, so bald ich selbst wieder hin
käme, die Arbeit zu übernehmen. Sie können
darauf rechnen, daß ich mein Versprechen halten
werde, nur kann ich nicht versichern: in kurzer
Zeit. Willingshausen ist zu entfernt (14 Stun
den von hier), als daß in einem oder zwei Tagen
die Reise abzumachen wäre, ich pflege gewöhnlich
im Spätsommer die Familie, mit welcher ich
seit lange freundschaftlich verbunden bin, auf
einige Zeit zu besuchen; eher als dürften Sie eine
Erfüllung Ihres Wunsches, insoweit sie von mir
abhängt, nicht erwarten.
Ich wiederhole nicht meine Ansicht über diese
Zeichen, da ich mich schon in der Schrift über die
Runen darüber geäußert habe, die Sie ohne
Mäche werden erhalten können. Hätte nicht
Herr Rommel vorher das Publikum darauf auf
merksam gemacht und nach meiner Meinung
allzugroße Erwartungen erregt, so weiß ich noch
icht einmal, ob ich irgend etwas öffentlich davon
gesagt hätte. Sie gedenken diese Steine im
schlimmsten Fall als ^Warnungstafeln zu be
nutzen, aber es kommt mir vor, als würde es eben
so schwer fallen zu beweisen, daß der Augenschein
trüge und diese Zeichen unbedeutend und zufällig
seien, als das Gegenteil. Man thut recht, die
sibirischen Zeichen genau abzubilden und bekannt
zu machen, aber glauben Sie, daß man zu ir
gend einem Resultat gelangt, wenn man aus ver
schiedenen Weltteilen Zeichen, von denen man
nur voraussetzt, daß es Buchstaben seyen, scharf
sinnig vergleicht, ohne das geringste von der
Sprache zu wissen, der sie angehören und mit
dem innern Bewußtsein, auch nicht ein Wort
davon lesen zu können? .... Was hat man da
mit? Ich streite nicht ab, daß nicht jemand noch
einen witzigen Einfall darüber haben könne und
endlose Vermuthungen möglich seyen, aber ich
glaube, bei dem gegenwärtigen Zustand der Lite
ratur erwirbt man sich ein Verdienst, wenn man
dergleichen zurückhält. Ich gestehe, daß die ge
naue und richtige Erklärung eines einzigen der
mit jenen deutschen Runen beschriebenen Gold
bleche zu Kopenhagen in meinen Augen wichtiger
und nützlicher sey würde, als die ausführlichste
Abhandlung mit Vermuthungen über ein halbes
Dutzend zweifelhafte, völlig unverständliche Zei
chen Ich weiß nichts darüber zu sagen,
oder was soll der Welt eine Vermuthung, auf
die ich selbst keinen Werth lege, weil ich morgen
und übermorgen und jeden folgenden Tag eine
andere darüber äußern könnte? Und wir haben
noch so viel Zeit zur Bearbeitung trefflicher und
reichhaltiger Duellen nöthig, wo wir ohne
Schwanken fortschreiten und eines sicheren Ge
winnes uns erfreuen können".
Dieser Brief läßt deutlich erkennen, wie unan
genehm Wilhelm Grimm ein weiteres Forschen
auf diesem Gebiet durch Professor Büsching war,
und enthält mehr ein Abraten als Zuraten. Auch
scheint es zu dem versprochenen Abguß der Ru
nensteine nicht mehr gekommen zu sein. Denn
durch den Tod von Frau von Schwertzell, der
Mutter von Wilhelmine, war die Familie
Schwertzell in tiefe Trauer versetzt, wodurch das
Interesse an weiteren Ausgrabungen erlahmte
und Wilhelm Grimm gehindert war, in diesem
Jahr seine geplante Reise nach Willingshausen
auszuführen. Ihm wird dieser Ausgang nicht
unerwünscht gewesen sein, und Professor Büsching
wird nach der deutlichen Abmahnung Grimmö es
vorgezogen haben, keine weiteren Schritte mehr in
dieser Frage zu unternehmen.
Wie aus dem oben erwähnten Brief von
Wilhelmine von Schwertzell an Wilhelm
Grimm vom 18. Februar 1825 hervorgeht, hatte
sie ihm den ersten Brief Büschings scherzhafter
Weise als Geburtstagsgeschenk vermacht, ohne zu
ahnen, daß kurz darauf noch ein zweiter Brief
Büschings ankommen würde. In launiger Weise
schildert sie bei der Aufzählung der für Grimm
bestimmten Geburtstagsgeschenke seine Empfin
dungen bei Empfang dieses eigenartigen Geschen
kes: „Und von Willingshausen? Den Brief von
Professor Büsching! Nun so freu ich mich doch
ganz ausnehmend. Den hab ich mir
lange gewünscht und nicht selbst anschaffen mö
gen. Den will ich nun das ganze Jahr lesen, ihn
in meinem eigenen Haushalt täglich auf meinem
Tisch haben. Wo es einmal dunkel um mich
herum wird, will ich mich nach ihm umsehn.
Kommt ein Freund des Abends in Gefahr beym
Nachhausegehn die Treppe hinunterzustürzen, so
reiß ich ihn durch und lege eine Hälfte vor ihm
her, und wenn mir einmal der Tisch gerückt wer-