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Len Grabhügel, der an sich sehr zweifelhaft war
und in dem Buche selbst als eine geringe Neben
sache erscheint". Auch in einem Brief an Franz
Joseph Mone vom 6. Dezember 1819
äußert er sich: „Sie haben doch von den Steinen
gehört, die man in unserem Lande gefunden und
auf welchen man alte Charaktere will entdeckt
haben, welche die Anzeige in den Gott. Anzeigen
schon Runen nennt? Ob sie mir gleich, nach
eigner Ansicht, sehr zweifelhaft sind, so bleiben sie
dennoch bemerkenswert und ich habe eine genaue
Abzeichnung und Beschreibung gemacht, die ich
herausgeben will." Zu diesem Zweck brauchte
er einen genauen Fundbericht. Diesen teilte
ihm Wilhelmine von Schwertzell in ihrem Brief
vom 15. Mai 1819 mit: „Damit Sie nicht
durch mich aufgehalten werden, an Ihrer Stein
schrift fortzufahren, so will ich Ihnen recht ge
schwind schreiben, was mir der Herr Vater ge
sagt: Die Urne, meint er, habe etwa dem Wald
boden gleich im Grabhügel gelegen, die Steine
wären aber tiefer unten gewesen. Nachdem wir
alle, auch die Carolinchen (Schwester der Wil-
helmine, spätere Frau von Versöhner) und die
Calenberg (Philippine von Calenberg, hessische
Schriftstellerin) den Schatz gehoben und im
Triumph abgezogen sind, haben die Leute tiefer
gegraben, auf einmal sagt einer von ihnen, „da
kommt auch was wie Schrift". Der Herr Va
ter tritt näher und bemerkt den größten der be
schriebenen Steine, der aufrecht stehend durch an
dere kleine Steine eingeklemmt ist, wie wenn er
ein Stück Mauer wäre, auf die man die Zeichen
eingegraben. Hierin hat also Alex recht, nur mit
der Einschränkung, daß die Schrift nicht g e -
r a d e nach der Urne hingesehen, sondern die
Augen danach aufschlagen mußte. Diesen Um
stand können Sie sich, wenn eö wieder zum Wort
kampf kommt, zu Nutze machen.
Nun wird der Herr Vater ganz aufmerksam
und läßt noch mehr bezeichnete Steine suchen, die
sich dann unter den schon herausgeworfenen be
fanden. Nun hab ich Ihnen so einmal recht die
Wahrheit gesagt, zu der Sie „verholfen" haben
wollten, und es ist mit Gewißheit vorauszusetzen,
daß Sie unterm Weiterschreiben daran gedenken
werden".
Am 17. Juli 1819 schreibt Wilhelmine von
Schwertzell an Wilhelm Grimm: „Wenn Ihre
Schrift über die Steine erschienen ist, so bitte
ich sehr, theilen Sie sie uns mit, denn ich muß
absolut sehn wie Sie gelehrt find (verstehn thue
ich schwerlich viel) und auch wie Sie gezeichnet
haben .... Der Herr Vater läßt Ihnen sagen,
ohne Grimmhildiö solle kein Riesengrab aufgemacht
werden". Wilhelm Grimm führte scherzweise un
ter Anspielung an seinen Familiennamen und
seine altdeutschen Bestrebungen bei dem Vater
von Wilhelmine den Beinamen Grimhildiö. So
heißt es z. B. in einem Brief Wilhelminens an
Wilhelm Grimm vom 20. Juni 1821: „. . . .
da rief auf einmal der Vater im Vorzimmer,
geschwind Jungfrau, kommen Sie herunter, es ist
ein Brief von Grimmhildiö da."
Inzwischen war Wilhelm Grimm Mitte
August 1619 für zwei Tage nach Willingshau
sen gekommen, um nochmals an Ort und Stelle
Erkundigungen über den Runenfund einzuziehen.
In seinem Tagebuch heißt es unter dem 9. Aug.
1819: „Morgens 12 Uhr in Willingshausen
angekommen, den 11. August um 2 Uhr wieder
abgefahren und Donnerstag Morgens 8 Uhr hier
angelangt". Am 18. August 1819 schreibt er
an Armin: „Ich war zwei Tage auf dem
Schwertzellschen Gute bei Ziegenhain, wo >es gar
hübsch ist, das ist meine einzige Ausflucht in die
sem Jahr gewesen." Und Wilhelmine von
Schwertzell schreibt am 20 August 1819 an
Grimm: „Wifsen Sie, daß Sie diesmal erstaun
lich kurz bei uns gewesen sind? Ist eö Ihnen
behaglich und warm geworden, so wie Ihr Heiter
sein, Ihre Streiferei in die Champagne
bouilleuse (der Eichwald, in welchem die Hünen
gräber standen) schließen ließ, so ist das wirklich
zu verwundern, denn bei fast jeder Veränderung
muß erst ein Gewöhnen sein, und dazu blieb
Ihnen keine Zeit". Aber vier Wochen später
muß er noch einmal für eine Woche sich dort zu
Studienzwecken aufgehalten haben, denn sein
Taagebuch meldet: >,13. bis 19. September in
Willingshausen".
Wilhelm Grimm konnte nun daran gehen,
seine Arbeit über den Willingöhäuser Runenfund
zugleich mit andern Runenstudien zu vollenden.
Als das umfangreiche, 326 Druckseiten und 11
Kupfertafeln enthaltende Werk erschienen war 4 )
— die neunte Tafel enthielt eine getreue Abbil
dung von den TLillingöhäuser Runen — sandte
er seiner Freundin Wilhelmine von Schwertzell
ein Exemplar. Hierfür bedankt sich dieje am 13.
Juli 1821 mit folgenden Zeilen: „Sie guter
Grimm, jetzt möchte ich Ihnen aber im eigenen
Namen so recht herzlich danken für das Buch,
das Sie Mathilden (geb. von Boyneburg-Stedt-
feld, Schwägerin Wilhelminens) für mich mit
gegeben, welches indeß vo m guten Herrn Vater
4 ) Rach Eintragungen in dag Tagebuch war das
Manuskript am 12. November 1820 an Dietrich nach
Göttingen abgeschickt worden und die fertige Schrift am
20. Mai 1821 in seine Hände gelangt.