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Kbb. 16. vorfstraße in Langendiebach
Aufnahme von Kreisbaumeister Ltübing
verhaltene Kraft des Bauerntums ruht in diesen
Bauten, die um den Ernst deö Geheimnisses weiß.
Aus dem Mutterboden dieser Kraft sind immer
wieder die Großen unseres Volkes hervorge
wachsen, die Schöpfer unserer gotischen Dome so
wohl wie ein Johann Gottlieb Fichte. -—
In der Gestalt, die das spätere Mittelalter
ihnen gegeben, sind Friedhof und Kirche in
den hessischen Dörfern oft stark befestigt,
als Zufluchtstätten bei feindlichen Überfällen.
Während die Steinmauern vieler Friddhöfe wohl
kaum je einen Verteidigungswert gehabt haben,
find andere mit Schießscharten und TDehrgang,
zuweilen sogar mit Wehrtürmen versehen. In
V i e d e r w a l g e r n im Kreise Marburg (Ab
bildung i6) stützt sich die steinerne Wehr des
hoch über der Straße gelegenen Friedhofs auf
starke Futtermauern und Strebepfeiler. Crum
bach bei Kassel zeigt doppelten Manerring mit
rundem Bergfried. Der Gedanke, das Heiligtum
durch Wehranlagen zu schützen, findet sich ja schon
in sehr alten Zeiten. Die Befestigung der Fried
höfe und Kirchen scheint aber in der Hauptsache
zur Zeit des Burgenbaus aufgekommen zu fein,
namentlich an Hauptstraßen und in gefährdeten
Grenzbezirken, dann aber auch in Dörfern, in
denen sich Herrenhöfe angesiedelt hatten, deren
Sicherheit durch die Befestigung des Friedhofs er
höht wurde. Vielfach wurden die Kirchtürme zu
Wehrtürmen ausgebaut, sodaß ihre Bekrönung
kleinen Festungen gleicht (Abb. 19). Meist waren
die Dörfer wohl mit Dornenhecken und Gräben
umgeben, zuweilen, namentlich im Kreise Hanau,
auch mit Mauern und Türmen. Solche Dörfer
gewinnen durch ihre streng geschlossene Form fast
das Ansehen befestigter Städte. In ihre Wehr
anlagen wurden Kirche und Friedhof mitunter
einbezogen.
Wenig beachtet geblieben sind bisher die Ge
richts st ä t t e n deö hessischen D 0 r -
f e ö. Und doch hatte jedes größere freie Bauern
dorf sein eigenes Gericht, das auch für die kleine
ren Vachbardörfer zuständig war. Vach Jacob
Grimm b) war das Gericht nrspriinglich
„Volksversammlung, in welcher alle öffentlichen
angelegenheiten der mark, des gaus und der land-
fchaft zur spräche kamen, endlich auch zwistig-
keiten beurteilt und büßen erkannt wurden. Im
Heidentum mit religionsgebräuchen verbunden.
Gleich den opfern wurde das recht öffentlich
unter freiem Himmel dargebracht, im beisein der
freien männer und durch sie gewiesen. Seit der
bekehrung znm christlichen glauben fiel nun aller
unmittelbare bezug der gerichtsverhandlung auf
den gottesdienst weg oder mußte erst von neuem
gestiftet werden: aber eine menge mittelbar heid
nischer Volksgewohnheiten und die öffentliche
rechtspflege blieb erhalten. Dem gericht wurde
Heiligkeit und ein besonderer friede beigelegt.
Vach wie vor versammelte sich an herkömmlicher
stätte in marken, ganen und landschaften das
freie Volk, um über geringere oder wichtigere an
gelegenheiten unter leitung seiner selbstgewähl
ten richter zu ratschlagen und zu entscheiden."
Die Gerichtsstätte lag meist inmitten des Dor
fes nahe oder in Verbindung mit dem Friedhof,
auf einer Anhöhe oder auch am fließenden Mmf-
ser. In Ebsdorf (Abb. 20) liegt sie östlich des
ungewöhnlich großen Friedhofes und ist mit ihm
durch eine Treppe verbunden. In V 0 l l mars
hausen bei Kassel liegt sie am fließenden Bach,
nicht weit vom Friedhof auf der Höhe (Abb. 21).
Die Gerichtsstätte zeigt einen erhöhten, in Stein
umfriedeten Unterbau, meist rund mit Tisch und
Bänken aus Stein, überragt von einem hohen
Baum. Der Baum fängt das Licht des Himmels
3) a. a. O.
ctbb. 17. vorfstraße in Roßdorf
Aufnahme von Kreisbaumeister Atübing