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ausgezeichnet nicht nur durch eine köstliche Frische
und Unmittelbarkeit in seinem Wesen, durch
Herzensgute und Hilfsbereitschaft, einen urwüchsig
quellenden Humor, sondern auch durch seine viel
fachen Liebhabereien, die mindestens auf dem Ge
biete der Erforschung der heimatlichen Trachten
zu bedeutsamer Leistung geführt haben. Es
waren wohl feine Lebenslust, verbunden mit der
ihm ganz selbstverständlichen Neigung zu allem
Idealen, seine Heimatliebe, die innere Nrenschen-
nähe, die bald einzeln, bald zusammen wirkten
und ihn zum Musizieren, zum Malen und zur
leidenschaftlichen Jagd veranlaßten und die ihn
auch zu den Bauern auf das Land und zur
Trachtenforfchung trieben. Seine Herkunft aus
einer alten Niederhesstschen Pfarrerfamilie —
er wurde 1868 zu Rotenburg an der Fulda
geboren — der Ortswechsel in seiner Beamten
laufbahn, die ihn von Schmalkalden nach Corbach
i. Waldeck, nach Neustadt bei Kirchhain und
schließlich nach Marburg, wo er auch schon die
Schule besucht hatte, führte, gaben ihm besondere
Voraussetzungen und Möglichkeiten dazu.
Seine Kenntnisse auf dem Gebiete der heimat
lichen Trachten und der Volkskunst überhaupt,
die Vertrautheit mit der Landbevölkerung, nutzte
Geheimrat Böhlau, der ehemalige Direktor des
Landesmuseums in Kassel, aus, indem er ihm in
großzügiger Weise den Auftrag zur Beschaffung
der heute berühmten Trachtensammlung des Lan
desmuseums, zum Erwerb der Volkskunstsamm
lung und zur Einrichtung der Bauernstuben des
INuseums anvertraute. Zu diesem Zweck wurde
Wessel von 1911 an bis zum Kriegsausbruch
jährlich auf mehrere Monate von seiner Behörde
beurlaubt. Es war ja noch die Vorkriegszeit, die
ein Arbeiten aus dem Vollen heraus erlaubte, in
der die Mittel zum Aufbau des Hessischen Lan-
vesmuseums von vielen Seiten her flössen, nicht
zuletzt auch durch die rege Teilnahme und Förde
rung des Kaisers. Wefsel hat damals Einzig
artiges und Hervorragendes geleistet. Auch in
den späteren Jahren, vor allem in der Zeit seines
Ruhestandes in Marburg, hat Wefsel unermüd
lich ans diesem Gebiete weitergearbeitet; ein gro
ßer Teil der Volkskunstsammlung des Hessischen
Geschichtsvereins, die 1927 von der Universität in
ihr Museum im Iubiläumöbau übernommen
wurde, ist Emil Wessel zu verdanken. Auch dem
neuen Museum ließ er seine Kenntnisse zugute
kommen. Immer wieder brachte er kostbare und
seltene Trachtenstücke; die ganze Trachtensamm
lung des Museums, dem er aus innerster Nei
gung sich zugehörig betrachtete, bestimmte und
lnventaristerte er in selbloser TOeise. Auf das
gewissenhafteste und genaueste nahm er die Be
schriftungen vor — eben auf Grund der Proto
kolle, die er bei den Bauern selbst aufgenommen
hatte. Unser Bild zeigt ihn, wie er noch im Juli
1934 in Römershausen bei Gladenbach eine alte
Bäuerin ansfragt. Daß er nun die Zusammen
stellung der Trachtenstücke, mit der im Mar-
burger Museum in Kürze begonnen werden soll,
nicht mehr selbst bewerkstelligen kann, wie er eö
sich so sehr gewünscht hatte, ist ein unersetzlicher
Verlust.
Von den mannigfachen Begebenheiten und Er
lebnissen bei seinen Forschungs- und Einkaufsfahr-