Anna entstand 1506 eine neue Wallfahrt, und
bis 1527 wurde dorthin gewallfahrtet. Wenn
sich auch in dem 1506 als wüst bezeichneten Dorf
keine bäuerlichen Hofstellen nachweisen lassen, so
gibt Landau immerhin ein Haus und eine
Schenkstätte neben der Wallfahrtskapelle an 2 H.
Da sich aber für das Jahr 1542, wie bereits
erwähnt, in dem ausdrücklich als Dorf genannten
Hauptschwenda 12 Bauern finden, besteht mög
licherweise die Annahme zu Recht, daß die Wall
fahrten zur St. Annenkapelle die Wioderbe-
setzung der dortigen unbesetzten Güter begünstigt
haben.
Einen siedlungsgeschichtlichen Werdegang eige
ner Art hat der heutige Klaushof in der Gemar
kung der Stadt Nenkirchen, Kreis Ziegenhain
durchgemacht 27 28 ). Er liegt an der Stelle des ehe
maligen Dorfes Florshain, dessen Kirche, zu
einem unbestimmten Zeitpunkt profaniert, im 16.
Jahrhundert einem Ziegelmacher als Behausung
diente und „die Elans" genannt wird. Aus
den Zähren 1720/21 ist uns aber noch ein Be
richt über Visitationen der Klaus erhalten 29 ),
der uns Rückschlüsse auf die Entwicklung dieser
Wüstungskirche zu ziehen erlaubt. Wie in an
deren Fällen unmittelbar nachweisbar, so scheint
auch hier die alte Kirche wegen der zu großen Ent-
fernng vom neuen Wohnplatz, der Stadt Neu
kirchen, nur noch selten zum Gottesdienst benutzt
worden zu sein. Neben einer solchen verwaisten
Kirche ließ sich dann oft ein Klausner nieder, der
die heilige Stätte vor der Entweihung bewahrte.
Diesen Einsiedlern war eö meist gestattet, die
Grundstücke, die zur Pfarre der Kirche gehörten,
zu bebauen und sich Vieh zu halten, um ans diese
Weise ihren Lebensunterhalt zu gewinnen. Unter
diesen Umständen waren die Visitationen einer sol
chen Klause auch sinngemäß und angebracht. Aber
dieser Brauch erhielt sich vielfach sogar dann noch,
„wenn die Kirchen ans den ^Rüstungen schon
Jahrhunderte lang ihrer Rechte entkleidet und zu
bescheidenen, nicht selten verwahrlosten Kapellen
geworden waren" 30 ). Das tiefere Verständnis
für die kirchliche Zeremonie war geschwunden, diese
hatte sich zu einem Volksfest entwickelt, dessen
eigentlichen Ursprung man nicht mehr kannte.
Auch der heutige Klanshof, der auf dem Platz der
alten Kapelle steht, erinnert mit seinem Toten-
27) Landau, G. Wüstungen, S. 124.
28) vgl. S ch a r l a u, K. Wüstungskirchen.
29) vgl. S ch a r l a u , K. Aus der Chronik der
Stadt Neukirchen, (in: Der Knüllgebirgsbote 1934,
Nr. 3.)
30) Lappe, 3. Kirchen auf Wüstungen, S. 206.
Hof, wo auch heute noch die sterblichen Überreste
seiner Bewohner unter der Amtöwaltung des
Pfarrers aus Neukirchen beigesetzt werden, an das
bis auf diesen Zeugen verschwundene Kirchdorf
Floröhain. Mit der Aufzeigung dieser Zusam
menhänge leitet die Wüstungsforschung über zur
Deutung volkskundlicher Überlieferungen, wo in
festeingewurzelten Bräuchen die Erinnerung an
die einstigen Giedelstätten weiterlebt.
Auch ehemalige Burgen und Klöster sind Fak
toren eines früheren SiedlnngsbildeS, die für seine
entwicklungsgeschichtliche Betrachtung von größ
ter Bedeutung sind. Sie waren meist Mittel
punkte von weltlichen oder geistlichen Grundherr
schaften, die auf die Besiedlung einen maßgeblichen
Einfluß ausgeübt haben. Berücksichtigt man wei
terhin auch diejenigen mittelbaren Zeugnisse mensch
licher SiedlungStätigkeit, wie Gerichts- und Kult-
stätten, einzelne Kapellen u. ä., so dient die Wü
stungsforschung hiermit dem Zweck, ein möglichst
vollständiges Bild eines friiheren LandfchaftS- und
Kulturzustandes zu entwerfen. Manche Flurbe-
zeichnung, bei der es zweifelhaft ist, ob sie auf
einen ehemaligen Wohnplatz zu beziehen ist, kann
aber mit Recht als Wmstungsbeleg gewertet wer
den, denn zum mindesten weist sie auf eine partielle
Flurwüstnng hin 31 ).
Damit erweitert sich das Arbeitsfeld der Wü
stungsforschung nicht unwesentlich. Das Wüstungs
verzeichnis Georg Landaus ist auch heute
noch die Grundlage für jede weitere Forschung
auf diesem Gebiet der hessischen Siedlungskunde,
ergänzend tritt ihm das Ortslepikon für Kurheffen
von H. R e i m e r zur Seite, aber auch fast jede
siedlungsgeschichtliche Untersuchung fördert neues
Tatsachenmaterial. Die rein stoffliche Sammlung,
die Bestandsaufnahme, nähert sich somit einer ge
wissen Vollständigkeit, jedoch darf sich die Wii-
stttngsforschung nicht hierin allein erschöpfen. Die
Aufstellung neuer Richtlinien für die Bearbeitung
und Sammlung macht es erforderlich, das bisher
Geschaffene neu zu überprüfen. Verschiedene Bei-
31) 1209 besaß das Kloster Spießkappel „duos
inaiisos in medio Stenahe et agros qui dicitur
Thudcnroth" (vgl. Landau, G. Wüstungen, S. 250;
Reimer, H. Hess. Orislexikon, S. 99). „Die Thu-
denroth genannten Acker" werden 1490/91 in der
Probsteirechnung des Klosters Immichenhain aufgeführt,
das Zins aus der „Wüstung" erhält. Trotz der Be
zeichnung Wüstung ist urkundlich nicht der Nachweis
eines ehemaligen Wohnplatzes erbracht. Allerdings kann
man aus Gründen, die sich aus der Wirtschaftsweise
der Klöster im ausgehenden Mittelalter überhaupt er
geben (vgl. S ch a r l a u , K. Geogr. Betrachtung d.
Wüstungen Teil III, 4 ) diesen Schluß wahrscheinlich
machen.