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und können damit dem Nachweis von partiellen
Ortöwüstungen dienen. Beispiele sind der Görz-
häuser Hof bei Michelbach und der Hof Radenhau
sen bei Amöneburg. Landau hat eine Anzahl
von ihnen bereits zu seinen Wüstungen gerechnet,
wobei er sich allein auf diese Änderung der Sied
lungsbezeichnung beruft; streng genommen ist ein
solches Verfahren erst heute gerechtfertigt.
Unter Verkennung des partiellen Wüstungs-
charakters find aber andererseits historische Anga
ben, die von dem zeitweiligen Wüstliegen heuti
ger Dörfer im ausgehenden Nkrttelalter berichten,
unter Zugrundelegung der bisherigen Auffassung
des Wüstenbegriffes falsch gedeutet worden, da
diese urkundlichen Erwähnungen zwangsläufig
mit „unbewohnt" oder „von den Bewohnern völ
lig verlassen" gleichgesetzt worden sind. Rückschlüsse
von diesem Ausmaß sind jedoch übereilt und hal
ten einer kritischen Nachprüfung meist nicht
stand. Wenn z. B. Steindorf im Knüll 1537
als Wüstung und 1583 als Hof angeführt wird,
dann ist der Schluß, daß dort zu dem letzge
nannten Zeitpunkt „wieder" ein Hof war 15 )
nicht berechtigt, denn es läßt sich auch für 1537
nachweisen, daß dieser Wohnplatz nicht gänzlich
aufgegeben war, da „Cuntz freundt" aus der auf
der Wüstung vorhandenen Ntühle zinst 16 17 18 ). Die
Bezeichnung Wüstung verschwand erst, wenn die
unbesetzten Güter wieder voll besetzt waren, wie
im Fall des Dorfes Hauptschwenda im Knüll.
Dieses wird 1506 noch als wüst genannt^),
1342 lassen sich dort dann 12 Bauern nachwei
sen ls ), und als 1556 anläßlich eines Grenzstrei
tes zwischen Hessen und Dörnberg das oberaulische
Weistum ans dem Fahre 1419 revidiert wird,
heißt eö 19 ): „Heintzfchwende diese Wustennnge,
Nota 1356 ist item ein Dorf". Fand aber nur
eine teilweise Neubesetzung statt, dann erhielt sich
auch oft die Bezeichnung Wüstung 20 ). So wird
beispielsweise im Jahre 1732 noch den 8 Be
bauern des Hofes Rückersfeld, der Restsiedlung
eines früheren Dorfes, ihr Landstedelbrief für die
„Wüstung" Rückersfeld erneuert 21 ).
13) R cimer, H. Hist. Ortslexikon S. 4.56.
16) StAM. Hornberger Salbuch von 1337.
17) Reimer, H. Hist. Ortslexikon S. 212.
18) StAM. Türkensteuerrechnung des Gerichts
Oberaula.
ig) StAM. Ortsreposttur Oberanla.
20) Diese Tatsache erklärt auch die Feststellung
Landaus (Wüstungen S. 391), daß ein neuange-
bautes Dorf, „ungeachtet des Neubaus, auch noch
langchin die Bezeichnung einer Wüstung behielt und
sonderbar genug oft sogar eine neue Wüstung genannt
wird".
21) StAM. Kammerarchio XI, Generalia: Land-
stedelbriefe.
Als partielle Ortswüstungen sind aber nicht
nur die Relikte der bäuerlichen Gehöfte anzu
sehen, hierher gehören vielmehr auch die große An
zahl von Wüstungskirchen, deren Schicksal nach
dem Abwandern der Bewohner ein ganz verschie
denes gewesen ist. In den Fällen, wo ein Kirch
dorf wüst wurde und nur die Kirche als Rest
siedlung auf der ehemaligen Dorfstätte erhalten
blieb, entstand ein Siedlungöbild, das in seiner
Eigenart charakteristisch für die Wüstungsperiode
des ausgehenden Nkittelalters ist: „Wo sich
früher menschliche Wohnungen um eine Kirche
geschmiegt hatten, stand jetzt ein einsames Gottes
haus und daneben nur mehr ein Pfarrhaus und
eine Küsterwohnung auf der verlassenen Stätte.
In nicht wenigen Fällen haben auch die Pfarrer
das wüste Dorf verlassen, besonders bei geordneter
Abwanderung der Bevölkerung, und in einem
zur Pfarrkirche gehörigen Dorf Wohnung ge
nommen" 22 ). Wohl nur selten verlegte man die
Kirche selbst nach dem Wüstwerden des Dor
fes 23 ); die Kirchen auf den Wüstungen verfie
len meist und wurden dann in gleicher Weise wie
viele verfallene Burgen als bequem zu nutzende
Steinbrüche ausgebeutet. NTanche Wüstungs
kirchen haben jedoch auch weiterhin ihrer religiö
sen Zweckbestimmung gedient und sind in vielen
Fällen sogar noch heute in Benutzung wie z. B.
die Kirche der Wüstung Oberrode, die noch jetzt
den Gemeinden Niederbreitenbach und Liederbach
zum Gottesdienst dient 24 ).
Wieder andere Wüstungskirchen sind im Laufe
der Zeit zu einer eigentümlichen Bedeutung ge
langt, sie wurden zu besuchten Wallfahrtskirchen.
L a p p e 25 * ) steht die Ursache hierfür darin, daß
im Volk das Verständnis für den Ursprung und
die Bedeutung dieser alleinstehenden Kirchen ge
schwunden war, und daß sich der Glaube verbrei
tete, der Besuch dieser Orte wäre mit der Er
langung besonderer Gnaden verknüpft. Abge
sehen von diesen religiösen Auswirkungen ist da
durch das Schicksal des zugehörigen Dorfes viel
leicht auch einmal gewandelt worden, wie wir es
für das Dorf Hauptschwenda vermuten dür
fen 2 Z. Zu der dortigen Kapelle der heiligen
22) Lappe, I. Kirchen auf Wüstungen. Zeit
schrift d. Saoignystftg. f. Rechtsgesch. Bd. 34. Kanon
Abtlg. III, (1913) S. 165.
23) Landau, G. Wüstungen S. 103 gibt dies
für die Kirche der Ortswüstung Breitingcn bei Roten
burg a. d. Fulda an.
24) Landau, G. Wüstungen S. 261.
23) Lappe, I. Kirchen auf Wüstungen, S. 207.
26) Vgl. S ch a r l a u, K. Wüstungskirchen im
Knüllgebirge, (in: Der Knüllgebirgsbote 1932, Nr. 4 ;
*933, Rr. i.)