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Auffassung über die Wüstungserscheinungen die
nen.
partielle I I partielle
totale y y totale
OrtSwüstung Flurwüstung
Totale Wüstung
Orts- und Flurwüstung bedingen sich in ge
wisser Weise wohl gegenseitig, sie stehen aber in
keiner direkten Abhängigkeit voneinander, die mit
der Entstehung des einen Typus nun auch zwangs
läufig die Bildung des anderen verursacht. Die
Tatsache eines immer wieder feststellbaren Konser
vativismus, der sich gerade in den SiedlnngSwerken
des Menschen äußert, das Festhalten an der zäh
erarbeiteten Scholle, muß uns davor bewahren,
das Wüstungsschema allzu „schematisch", als eine
gesetzmäßige Entwicklungsfolge, zu betrachten.
Die Ursachen der Wüstungen sind vielgestaltig,
und je nach dem besonderen Charakter des Wü-
stungövorganges find daher die im Landschafts
bild sichtbaren Auswirkungen verschieden. Ge
meinsam ist ihnen allen aber eine Veränderung
deö Siedlnngsbildes im negativen Sinn, deren
partielles oder totales Stadium für einen durch
die geschichtliche Überlieferung gegebenen Zeit
punkt uns die ausgestellten Wiistnngstypen zu er
mitteln gestatten.
Der Vorteil dieser neuen Wüstungsnomenkla
tur scheint mir vor allem aber darin zu liegen,
daß mit der folgerichtigen Auflockerung und Er
weiterung des bisherigen Wüstungsbegriffes un
ter Zugrundelegung der quellenmäßigen Bezeich
nungsweise die Mannigfaltigkeit der Wüstungs
erscheinungen besser erfaßt werden kann. Die
Deutung des Begriffes „wüst — unbesetzt" lehrt
uns, daß durch eine Verminderung der bewohn
ten Hof- und Hausstellen auch eine Verringe
rung der Bewohnerzahl einer Siedlung vorliegt
und weist uns damit auf die Bedeutung des ur
sächlichen Zusammenhangs hin, der zwischen Wü
stungserscheinungen und Bevölkerungsverhält
nissen besteht. Die bereits angeführte Tatsache,
daß die Entsiedlung, sei es für eine einzelne Sied
lung oder für deren Gesamtheit innerhalb eines
Gebietes, ja durchaus nicht immer das Endsta
dium deö Wüstungsvorganges, die totale Wü
stung, zu erreichen braucht und in einer Vielzahl
der Fälle auch garnicht erreicht hat, zeigt, daß
das Hauptproblem in der Aufzeigung der partiel
len Wüstungserfcheinnngen sowohl für den
Wohnplatz als auch für die Flur liegt. Weiter
ergibt sich vom Standpunkt einer entwicklungs
geschichtlichen Auffassung der WüstungSerschei-
nungen, daß die bisher geforderte Beschränkung
auf den Typus der Ortöwüstung eine Einen
gung des Wüstungsbegriffes auf einen Sondec-
fall darstellt. Der Begriffsumfang der Wü
stungsdefinition muß aber folgerichtig auf alle die
jenigen einmal vorhandenen Siedlungswerke des
Menschen ausgedehnt werden, die zum Bestand
eines früheren Siedlnngsbildes gehört haben.
Diese Wertung muß maßgebend sein, denn die
Wüstungsforschung kann sich nicht darin er
schöpfen, sämtliche historischen Wüstungsbelege zu
sammeln und ihre alte Örtlichkeit im Gelände
möglichst genau festzustellen suchen, sondern sie
muß in erster Linie den Zweck verfolgen, die Re
konstruktion des Siedlnngsbildes einer Landschaft
für einen früheren Zeitraum durchzuführen. Die
Mehrdeutigkeit in der Auffassung des bisherigen
Wüstungsbegrifses und die Unstimmigkeiten in
seiner Anwendung sind die Folge davon, daß inan
die Wüstungserscheinungen fast ausschließlich von
den Gegenwartöverhältnifsen aus betrachtete, wäh
rend aber doch ihre Bewertung aus den zeitge
schichtlich bedingten Umständen früherer Sied-
lungöverhältnifse erfolgen muß. Ihre zweifellos
einstmals vorhandene und nicht ihre in der Folge
zeit bis zur Gegenwart geschwundene Bedeutung
muß daher der Betrachtung zu Grunde gelegt
werden.
Erst dann ergibt sich die Berechtigung, heutige
Einzelfiedlungen, wie Höfe, Mühlen und dergl.,
wenn sie Rest- oder Zeugenfiedlung von einstigen
Dörfern find, zu den Wüstungen zu zählen: sie
find im Sinne der hier entwickelten Auffassung
partielle Ortöwüstungen. Erst wenn diese dann
eingehen und damit der Wohnplatz der Sied
lung „völlig vom Erdboden verschwunden" ist,
entsteht mit diesem Zeitpunkt eine totale Orts
wüstung. Von zwei Wüstungen braucht man nun
nicht mehr zu sprechen. Aber auch die Fälle, wo
der geschichtliche Wüstungsbeleg nicht vorhanden
und nur aus anderen Hinweisen eine Verringe
rung der bäuerlichen Gehöfte eines Dorfes zu er
schließen ist, lassen sich nun erfassen. Die Än
derung der Siedlungöbezeichnnngen von Dorf zu
Hof, oft auch der ^Wechsel der Ortsnamenen
dungen von -hausen zu -Hof oder -dorf zu -Hof 14 ),
zeigen uns eine Entsiedlung des Wohplatzes an
i 4 ) 3 - 23 - der heutige Volkershof im Gutsbczirk Jm-
inicheuhain (Kreis Ziegenhain) ist die Restsiedlung von
Folkersdorf (vgl. Landau, G. Wüstungen S. izH-
Oie Namensänderung ging über Hof Volkirsdorf, Hof
zu Fulckersdorf und Hof Volckershausen zu Volkershof
(vgl. Reimer, H. Hist. Ortslerikon. ( 5 . 4 ^ 5 )-