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krischen Kraft geltend zu machen. Verbessert wurde
zunächst die Nkethode der Erhitzung des Holzes im
Backofen oder neuerdings im „Schwalchkessel",
und dann die Sicherheit der Krümmung zum Griff
vermittelst eines sehr einfachen Maschinchens des
sog. „Planchets". Der Laie macht sich meist nicht
klar, daß der Rundhaken am Ende des „Schus
ses" ein künstliches Erzeugnis ist, bei dessen Her
richtung früher ein nicht geringer Teil der Stöcke
durch Bruch unbrauchbar wurde. Dem ist durch
das Planchet, das man in fabrikmäßigen Betrie
ben kennen lernte, dessen erste Exemplare für
Lindewerra aber um 1910 ein geschickter Schlosser
in Oberrieden herstellte, gründlich abgeholfen. Ein
70 Zentimeter langes Stahlband, auf der Innen
seite mit einem Papp- oder Schmirgelstreifen ver
sehen, dient als Gegenlager, wenn der Schuß des
erwärmten Stockes in einen Schraubstock gespannt
mit Hilfe des Planchetstiels angebogen wird. Der
init einer Draht- oder Bindfadenschlinge gefestigte
Griff wird dann noch zweimal im Backofen er
hitzt, bis die Schlinge abfällt. Von den nun
trockenen und von den Schlingen befreiten Stöcken
entfernen Frauen ( wie es unsere Abbildung zeigt)
oder Kinder die kleinen Astspnren im Griff,
der Stock kommt znm letzten (Male auf g—10
Minuten in den Ofen und wird nunmehr end-
giltig „gerichtet". Das letzte Reinigen und Glät
ten des Schusses erfolgt heutzutage mit einer elek
trisch betriebenen Kreisraspel. Es kommen unge-
beizte und gebeizte, und dann se nach der Stärke
der Beizsäure heller und dunkler gefärbte Stöcke
in den Handel.
Die Zwingen stellten die Stockmacher vor dem
Kriege, mit dem wir die dritte Etappe schließen
dürfen, ans Eisenblech selbst her, heute werden sie
fertig von Solingen oder Schmalkalden bezogen.
Aber trotz allem was Maschinen und Lieferan
ten an Arbeit dem Stockmacher abgenommen
haben, es »st bis in die unmittelbare Gegenwart
eine echte Heimindustrie geblieben, in die die ganze
Familie eingespannt ist, soweit sie nicht durch
Haus- und Feldarbeit abgehalten wird.
Daß die jährliche Produktion, die in der Vor
kriegszeit rund igo 000 Stöcke betrug, während
des Weltkriegs keine Einschränkung, vielmehr
zeitweise eine Steigerung erfuhr, wird der ver
stehen, der da draußen in dem weiträumigen Ge
biet deö Stellungskampfes Offiziere und Soldaten
sich zwischen Wällen und Gräben und einem von
Granattrichtern aufgewühlten Terrain mit dieser
Ausrüstung von Eichenstöcken hat bewegen sehen.
Eine wirkliche Überraschung aber erlebte unsere
Stockmacherei in der Nachkriegszeit: statt deö be
stimmt erwarteten Rückganges trat jetzt ein er
höhter Absatz ein, der sich in den Jahren um 1926
auf Z00 000, ja bis zu 500 000 steigerte! VÄr
wollen es unsern Lesern überlassen, sich auszu
malen, wie das kam und von wem in dieser inner
lich aufgewühlten Notzeit unseres Vaterlandes
der Eichenstock als Schutz und Zierde wehrhafter
Männer geschätzt wurde, denen die Waffe ver
sagt blieb. Hält man sich aber die Dauerhaftig
keit dieser Ware vor Augen und bedenkt, daß,
was etwa davon verloren geht, zumeist bald einem
dankbaren Finder zufällt, dann ist es gewiß nicht
gewagt, wenn wir der Vermutung zustimmen, daß
weitaus die Mehrzahl der um jene Zeit (und auch
noch heute) in Deutschland benutzten Eichenstöcke
aus Lindewerra stammt! Sie wandern ja auch
heute noch in den deutschen Osten, wo sich ihrer
die Bergleute im Erz- und Riesengebirge bedienen
— über die westliche Grenze gingen sie früher nach
Holland und gewiß auch in dessen überseeische Ko
lonien.
Und dieser gewaltige Vertrieb und Export
stammte und stammt aus einem kleinen Werra
dorfe von knapp 4vo Einwohnern, von einem Heim
gewerbe mit selten mehr als Zo Meistern, die
freilich alle ihre Familienglieder dazu heranziehen.
Verteilen wir die Erzeugung von auch nur 150 000
Stöcken auf diese Dreißigzahl, so kommt im
Durchschnitt eine TAochenproduktion von hundert
Stück auf die Familie — und diese Zahl ist zeit
weise auf das Doppelte und über das Dreifache
gesteigert worden! Immerhin ermöglichen es die
zunehmende Benutzung einfacher Maschinen und
das bessere Material, das geliefert wird, gegen
wärtig einem geschickten Meister, bis zu 2g
Dutzend in der 2Doche fertig zu stellen. Und da
bei sind zur Herstellung eines Stockes auch heute
noch 4 —5 Tage erforderlich, und annähernd
vierzigmal geht er im Arbeitsgang durch deö
Meisters Hand.
Als Erzeugungsländer und Lieferanten des
(Materials traten schon vor dem Kriege Österreich
(mit dem Kastanienholz aus Kroatien und gelegent
lich mit Weichsel) und Ungarn (mit seinen Eichen)
mehr und mehr hervor. Nach den Friedensschlüssen
von 1919 gehören diese Lieferungsgebiete zu Süd-
slawien, der Tschechoslowakei und Rumänien; die
Vermittlung aber besorgen nach wie vor un
garische Juden, weshalb man noch immer von der
„ungarischen Eiche" spricht. Daß die Schwierig
keiten der Devisenbeschaffung unser Gewerbe zur
Zeit ähnlich bedrücken, wie so viele andere Erwerbs-