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Gage auf 500 Taler. Alle Charakterkleider und
fremde Trachten wurden ihm aus der Hoftheater
garderobe gestellt, wogegen er Trachten des bür
gerlichen und geselligen Lebens, also moderne Ko
stüme, einschließlich der Kopf- und Fußbekleidun
gen und der Handschuhe, der jedesmaligen Rolle
entsprechend, selbst anzuschaffen hatte. Neben
dem jedesmaligen Spielgeld von 6 Mmrk erhielt
er 18 Jahre lang, bis 1875, ^ Regisseur der
Oper noch eine Remuneration von 600 Mark
jährlich. Aber auch das reichte für die zahlreichen
Bedürfnisse des Lebens nicht aus. Aus seiner am
Zi. Dezember 1845 mit der Hofschauspielerin
Wilhelmine Gerlach geschlossenen Ehe entsprossen
acht Kinder. Krankheit und Todesfälle, die Aus
bildung feines ältesten Sohnes auf dem Leipziger
Konservatorium, dessen einjährige Militärdienst-
zeit in Kassel, die vierjährige Behandlung seines
vor der Gefahr des Erblindens stehenden zweiten
Sohnes in der Augenklinik, Verluste vieler Art,
nicht zuletzt auch der Umstand, daß eö Häser, der
sich persönlich allerlei Entbehrungen auferlegte,
seinem ganzen Naturell nach nicht verstand, als
energischer Familienvater zu herrschen, ließen ihm
die Verhältnisse über den Kopf wachsen. In
seinem Bestreben, keinen seiner Gläubiger zu schä
digen, erteilte er zu Anfang der siebziger Jahre
dem Inhaber eines Kasseler GarderobegeschäftS
die Vollmacht, drei Jahre lang statt seiner die
ganze Gage zu erheben. Dieser aber machte von
der ihm erteilten Vollmacht in einem Umfang Ge
brauch, daß Häser außer Stande war, weiterhin
seine Familie zu ernähren, und Frau und Tochter
zu Verwandten nach Berlin zogen, während er
selbst sich zu einer Familie in der unteren König
straße in Wohnung und Pflege begab. Es ist be
greiflich, wenn Häfer schließlich in einem Schrei
ben an Hofrat Eysel, der nach dem Tode deö In
tendanten von Carlshausen mit der Verwaltung
des Theaters betraut war, seinem Herzen Luft
machte und um Auszahlung deö gesetzmäßigen
Minimums seines Gehaltes bat. Er habe täglich
unter bittersten Nahrungssorgen zu leiden. „Das
muß aber ein Ende haben, damit die Lust und
Liebe, die Begeisterung für meinen Beruf mir er
halten bleiben und nicht täglich die quälendste aller
Sorgen und ein deprimiertes Gemüt mich auf die
Bretter begleiten. Ich selbst habe die Schulden
nicht gemacht . .. Aber ich erkenne sie an." Wie
unruhevoll mußte das Leben eines Mannes sein,
der in einem Zeitraum von etwa 50 Jahren 38
Wohnungen in Kassel innehatte. DTr verstehen
eö auch, wenn von den zahlreichen Anekdoten, die
in Kassel noch heute über ben alten Häser im
Schwange find, die große Mehrzahl sich mit den
materiellen Nöten deö beliebten Künstlers und dem
nicht unterzukriegenden Galgenhumor beschäftigt,
den er — wenigstens nach außen hin — dieser
Misere entgegenzusetzen wußte. Es geht nicht an,
diese Anekdoten hier auch nur annähernd auszu
schöpfen; nur einige wenige, die mir noch kürzlich
ein hiesiger, durch seine fabelhafte Kenntnis deö
alten Kassel und seiner Persönlichkeiten bekannter
Jurist erzählte, mögen hier Platz finden.
In seiner Wohnungsnot hatte sich Häser in
den siebziger Jahren außerhalb der Stadtgemar
kung in der Wilhelmshöher Allee, am Ende
Wehlheidens, einlogiert, mußte aber dann diese
Wohnung auf Grund der Theatergesetze wieder
aufgeben. Als ihm der Hauswirt Vorhaltungen
wegen der rückständigen Mäete machte, erwiderte
er trocken: „Meinen Sie, wenn ich Miete zahlen
wollte, wäre ich nach Wehlheiden gezogen?"
Irgend ein Kasseler Gesangverein gab in Esch-
wege oder Münden ein Konzert, bei dem auch der
berühmte Häser am Klavier spielen sollte. Vor
läufig saß er noch an der Kasse. Als er aber dann
auftreten sollte, suchte man ihn vergebens, denn
er befand sich bereits mit der Kaffe auf der Heim
fahrt. Die Wut der Sangeöbrüder ob dieses
Trenbruchs hatte sich selbst, als sie wieder in ihrem
Kasseler Stammlokal, dem „Regenbogen", saßen,
noch nicht gelegt. Als dann plötzlich der alte
Häser schmunzelnd hereinguckte, hätte man ihm
am liebsten mit einem Holzscheit den Schädel ge
spalten. Auf alle Vorhaltungen hatte er nur die
Antwort: „Lieben Leute, ich bin ein alter Mann,
dem's schlecht geht, und Euch geht eö gut, was
wollt Ihr mit dem Geld?" Die „schwache
Stunde" war vergessen, und bis drei Uhr mor
gens saß man friedlich und vergnügt beisammen.
Bei einem Weinwirt am Friedrichöplatz stand
Häser stark in der Kreide. Der schickte Rechnung
über Rechnung mit dem einzigen Erfolg, daß Hä
ser nun fortblieb. Das hatte zur Folge, daß auch
der betreffende Stammtisch zum großen Leidwesen
des TDirtes immer mehr vereinsamte. Eines
Morgens um 11 Uhr steht dieser vor der Tür,
als Häser gerade vorbeigeht. „Ach, Herr Häser,
kommen Sie doch bitte mal rein." Der WAn-
wirt holt sein Buch und zeigt dem Künstler auf
zwei langen Seiten die Beträge, die er ihm schul
det. „Sie müssen doch einsehen, daß daö nicht
geht." Und nach einer Weile: „Ich will mal
nicht so sein" — ritsch, fährt der Blaustift über
die erste Seite — „ich streiche diese ganze Seite."
— „Da kann ich nicht zurückstehen", erwiderte
Häser großmütig, „dann streiche ich die andere
Seite!" — Der Stammtisch war gerettet. Eines
8Norgens kommt Häser in die Gruneberg sähe