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zum Blechschmiedemeister Adolf Henkel in der
unteren Marktgasse in die Lehre, und so blieben
ihm nach des Tages Last nur die Nächte, um an
seinem geliebten Klavier zu üben. Nach bestan
dener Lehrzeit erklärte er den Eltern rundweg,
nachdem er bisher ihren Willen getan, werde er
nun dem seinigen folgen. Dreiviertel Jahre war
er Mitglied des Kasseler Theaterchors, dann
folgte er den Spuren des originellen „Theater
grafen" Karl Hahn - Neuhaus. Landmarschall
Graf Hahn, 1762 auf Schloß Remplin in Meck
lenburg als Sohn eines der größten Großgrund
besitzer Norddeutschlands geboren, opferte seiner
Theaterleidenschaft — er baute u. a. in Remplin
für 60 000 Taler ein eigenes Theater — sein
Riesenvermögen und zog dann 4» Jahre lang als
Direktor von Wandertruppen ruhelos von Ort zu
Ort. In Stralsund auf des Grafen Hahn
Bühne erlebte Häser das Geschick fast aller De
bütanten. Schon beim ersten Auftreten verwickelte
er sich mit den Sporen und legte sich in seiner
ganzen Länge auf die weltbedeutenden Bretter.
Auch bei den Spielversuchen der nächsten Abende
sandte ihm das Stralsunder Publikum vom Par
terre aus ermunternde Zurufe wie „Schafskopf"
und ähnliche Schmeicheleien auf die Bühne. So
war es ihm schon recht, wenn nach zehn Wochen
die Gräflich Hahwsche Bühne aufgelöst wurde.
Mit seinem älteren Bruder begab sich Karl
Häser nun nach Richtenberg, einem vier Stunden
von Stralsund gelegenen Städtchen, wo sie in die
Schmiere eines Herrn Klotz eintraten. Hier hätte
Häser fast sein kurzes Künstlerleben mit einem
idyllischen Dasein vertauscht. In dem gemüt
lichen Städtchen veranstaltete er mit einigen Bür
gern Ouartettübungen und hatte sich mit der Zeit
so beliebt gemacht, daß man ihm das Amt des
Nichtenberger Organisten antrug. Aber er sollte
so wenig vor den Kasseler Blechkannen der Hen-
kelschen Werkstatt wie vor den Blechpfeifen
einer Pommer'schen Orgel seßhaft bleiben. Schon
hatte er sich zum Antritt der neuen Stelle bereit
erklärt, da wurde ihm eröffnet, daß mit diesem
Amt die Verpflichtung verbunden sei, eine Toch
ter des kinderreichen bisherigen Organisten zu ehe
lichen. Häser hatte jedoch sein Herz bereits an
eine Schöne der Klotz'schen Schmiere verloren,
schüttelte daher schleunigst den Staub von seinem
Kothurn und folgte der Truppe nach dem benach
barten Städtchen Loitz. Kurz darauf verschwand
Vater Klotz, und es begann nun für die verwaiste
Herde ein an Entbehrungen reiches Abenteuer
leben, wie wir es aus Holtei'ö „Vagabunden"
kennen. Kartoffeln bildeten Frühstück, Mättags-
nnd Abendmahlzeit der hirtenlosen Kunstgenossen
schaft, und ein Weiterwandern verhinderte der
biedere Loitzer Gastwirt, bei dem man stark in der
Schuld war. Schließlich gab er wenigstens die
Erlaubnis, im nahen Gnoyen deklamatorisch-dra
matische Abendunterhaltungen zu veranstalten.
Da aber der brave Gastfreund die Bücher uno
Kulissen zurückbehielt, mußten sie ohne alles thea
tralische Handwerkszeug abziehen. Donnerstag
kamen sie an, am Sonntag sollte Karl Blum's
„Mirandolina" gegeben werden. Am Freitag
war das Theater notdürftig mit geborgten Ge
räten aufgebaut, aber bei der Probe am Sonn
abend konnte sich niemand ohne Rollenbuch zurecht
finden. Man schrieb nun das Stück rasch nach
dem Gedächtnis zusammen, und der Sonntag
abend brachte eine gefüllte Kaffe. Noch zwölf
Vorstellungen wurden gegeben, zuletzt mußte der
Wirt eine Wand des Theatersaals einschlagen,
um dem Publikum Raum zu schaffen. Da traf
den blühenden Weizen des Theatervölkchens ein
vernichtender Hagelschlag — die Regierung ver
bot, der Himmel mag wissen, aus welchen Grün
den, weitere Vorstellungen, und die Gesellschaft
bezog das Städtchen Treptow an der Pollenfe.
Hier aber setzte die Cholera, die 1831 alle 2Ran-
derbühnen sprengte, ihrem VRrken ein Ende.
Die beiden Brüder Häser kehrten nun nach
Kassel zurück. Das Hoftheater war nach der Pa
riser Julirevolution auf unbestimmte Zeit ge
schlossen und an die Bethmann'sche Schauspieler
gesellschaft verpachtet worden. Hier trat Karl
Häser beim Ehor ein und ging mit diesem, als die
BethmannAhe Truppe abgezogen war, auf einige
Zeit nach Hannöverfch-Münden. Als dann Hä-
fers Onkel Feige 1833 für das neu eröffnete Hof
theater alte verdiente Mitglieder, darunter auch
Häsers Ntutter, wieder engagierte, wurde auch
der junge Häser übernommen. Natürlich begann
er mit kleinen Rollen, zuerst mit dem Herrn von
Mirler in Töpfers Stück „Der beste Ton".
Zum ersten Mal gerufen wurde er *— das Her
vorrufen war damals noch so selten, daß es in
auswärtigen Korrespondenzen regelmäßig vermerkt
wurde — als William Gawtry in „Nacht und
Morgen" von der Birch-Pfeiffer. An diesem
Abend wurde die Direktion zum ersten Mal auf
sein Können aufmerksam. Schon früh wurde ihm
das Fach der Alten überwiesen, und hier hat „der
alte Häser", wie dieser populärste aller Künstler,
die je auf der Kasseler Bühne wirkten, allgemein
genannt wurde, eine unübersehbare Reihe der
prächtigsten Figuren geschaffen. Geben wir dar
über einem zeitgemäßen Kritiker, dem wir diese
Einzelheiten verdanken, das Wort: „In der
Oper, im Schauspiel, im Lustspiel und in der