sogar über des Landgrafen Tod hinaus: das Ab
leben seines ehemaligen Studiengenofsen und Ka
pellmeisters am Kasseler Hof Christoph C o r-
n e 11 efytt Schütz mit einem geistlichen Konzert
„Herr nun lässest du deinen Diener fahren".
Welche künstlerischen Befruchtun
gen Schütz durch Kassel und die Mmfik am
Kasseler Hofe erfahren hat, ist nur schwer greifbar.
Als Schütz nach Venedig ging, hatte er im Stu
dium der Compofition „einen nur schlechten unge
gründeten Anfang". Darnach hat er während der
Kasseler Zeit einen eigentlichen gründlichen Kom
positions-Unterricht nicht erhalten. Was der
Knabe und Jüngling jedoch an Musik am Kasseler
Hofe aufgenommen und kennen gelernt hatte, trug
er als unverlierbares Gut fein ganzes Leben mit
sich. Es war die Tradition deutscher Musik des
ausgehenden 16. Jahrhunderts, die im Kassel jener
Tage vorherrschte wie kaum an anderen Höfen.
Während an anderen Orten um die Jahrhundert
wende das Jtalienertum immer stärker einzu
dringen beginnt, bleibt in Kassel das deutsche
Element in jeder Hinsicht durchaus überwiegend.
Immer stärker begann sich gerade in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts unter der großen
Zuchtmeisterschaft des universalen eingedeutschten
Niederländers Orlando di Lasso das eigene Pro
fil der deutschen Musik herauszuheben. Das
deutsche Kleinmeistertum jener Tage, da die
deutsche INusi'k auf ihren ersten Großmeister
n a ch Senfl noch wartete, pflanzte die besten
Kräfte nordischen Mufizier-Willens, deren Trä
ger das Niederländertum war, von Generation
zu Generation fort und wuchs immer mehr heran
zu eigenen Prägungen. Vom Geiste dieser niveau
vollen, handwerklichen und traditionsbewußten
deutschen Musik, die in Kassel gepflegt wurde,
ließ sich der werdende Schütz berühren. Der da
malige Hofkapellmeister des Landgrafen, Georg
Otto, sammelt in sich diese Kräfte der deutschen
Musik jener Tage zu einprägsamer Gestalt, die
der junge Schütz täglich vor Augen hatte. Der
Grund zu Schützens vertieftem Traditionsbewußt
sein wurde in Kassel gelegt. Soweit er auch je in
die Bezirke italienischer Kunst vordrang — der
festgefügten deutschen Tradition wurde er nie
mals untreu. Der Geist deutscher Musik, den er
in Kassel erfahren hatte, wirkt durch sein ganzes
Werk hindurch und in dessen späteren Wand
lungen tritt er immer sichtbarer und klarer her
vor bis hinein in die grandiosen Visionen seines
Alters, in denen deutscher Geist in der Musik
ewig wurde. cklber Kassel ging der Stern auf,
der Heinrich Schütz den Weg wies zur deutschen
Unsterblichkeit und mit ihm ging auch der Geist
des Landgrafen ein in die ewigen Gefilde deutscher
Musik.
Im Staatsarchiv Marburg/Lahn wird unter
„Politische Akten Sachsen-Albert. II, 40" der
folgende eigenhändige, bisher noch unveröffent
lichte Brief voü Heinrich Schütz an den
hessischen Landgrafen aufbewahrt H. — Im
August 1615 hatte der Landgraf seinen Orga
nisten dem sächsischen Kurfürsten für zwei Jahre
überlassen. Im Dezember 16^7 — vor Ablauf
dieser Frist also — fordert er ihn wieder ein.
Gleichzeitig hatte der Landgraf an Schütz selbst
geschrieben und ihm persönlich die „Abforderung
von Dresden" zukommen lasten. Der Brief ist
nicht erhalten. Das hier abgedruckte Schreiben
ist jedoch die Antwort auf diesen Schütz „jüngst
zugeschickten gnädigen befehl". Es ist das ein
zige Dokument, das uns gewissen Einblick gewährt
in Schütz' eigene Stellung zu dem Streit der
Fürsten um seine Person. Er ist um seine Mei-
nung nicht gefragt. So sehr ihn die größeren Ver
hältnisse wie die selbständigere Stellung am
Dresdener Hofe gelockt haben mögen — in Kassel
war er nur Organist —, so läßt doch gerade dieser
Brief kein Zweifel, wohin Pflicht und innere
Neigung ihn zogen. „Alle natürliche und gött
liche Gesetze vermahnen" ihn, „die Zeit seines
Lebens" dem landgräflichen Hofe „aufzuwarten",
das ist der Satz, um destentwillen dieses Schrei
ben zu einem wahrhaft bedeutsamen persön
lichen Dokument des Meisters wird. Es zeugt
überdies von dem nahen, ja herzlichen Verhältnis
zum Landgrafen und seiner Familie. Der Ab
druck dieses Briefes als Anhang zu den obigen
Ausführungen über „Heinrich Schütz und Land
graf Moritz von Hessen" trägt seinen Sinn in
sich 2 ).
Durchleuchtiger Hochgeborner Fürst, Gnediger
Herr, E. F. G. feind nebenst Wünschnng zeitt-
licher und ewiger Wolfahrt, meine gantz pflicht-
schüldige untterthenige gehorsambste Dienste höch
stes Vermögens jederzeit zuvor,
Hochgeborener Fürst, Gnediger Herr, E. F. G.
mir jüngst zugeschickten gnedigen befehl habe ich
in untterthenigkeit wol empfangen, daraus auch
die gnedige abforderung und citation meiner We-
1) Den Hinweis auf diesen Brief danke ich Herrn
Werner Däne-Köln, der ihn in Verfolg feiner Studien
über „Landgraf Moritz von Hessen als Musiker" im Mar-
burger Staatsarchiv auffand.
2) Er erfolgt der Vorlage getreu bis auf die Ersetzung
des „v" durch „u".