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ging nach Willingshausen in das ihm genannte
Haus, wo er nach dem Annemargret fragte. Die
Eltern sagten, es sei mal fortgegangen, er solle
fich setzen, es käme gleich wieder. Dazu hatte er
aber keine Ruhe, er wartete vor dem Hause in
der Dunkelheit auf das Mädchen.
Bald kam auch ein Mädchen auf das Haus
zu und er fragte sie, ob sie das Annemargret sei,
er wäre der Hans Hinrich Kalbfleisch. Als das
NTadchen sagte, sie sei die, die er suche, ant
wortete er: „Mädchen ich sehe Dich nicht, aber
an Deiner Stimme höre ich, daß Du die mir von
Gott Befohlene bist, willst Du meine Frau wer
den?" Womit das Mädchen auch sogleich ein
verstanden war. Als er mir dies erzählt hatte,
sagte ich: „NTeister, das hat ja keine Viertel
stunde gedauert, da wart Ihr schon einig". „Was
e Viertelstunn?" antwortete er, „Kee finf Mi
nute hat vas gedauert".
Das Annemargret war eine ganz ausgezeich
nete Frau und Mutter geworden, die auch lange
Jahre den Handarbeitsunterricht in der Schule
gab. Die Ehe war mit Kindern gesegnet. Von
den vier Söhnen wurde einer Schuhmacher, einer
Schneider, einer Metzger und Leineweber und
einer Blechschmied, und der Vater war stolz
darauf, dem Dorf so viele tüchtige Handwerker
geschenkt zn haben.
Äußer von mir selbst, wurde er auch mehrfach
von meinen Schülern gemalt, wobei er dann die
einzelnen Arbeiten in der Pause kritisierte. War
er damit durch, so sagte er: „Mer wunn widder
oafange, es muß was geschafft sein". Faulenzer
konnte er nicht leiden und schimpfte sie tüchtig
ans. Von einem solchen sagte er mal: „Wann
das mein Jung' wär', der kriegt aber Schmiß!"
Beim Malen stand er meist in heißer Sonne,
hatte aber von früh 4 Ahr an . schon „gewebe",
und wenn er gerade eine Steige Leinwand fertig
hatte, so trug er die auch noch in der Mittags-
Hitze auf dem Rücken nach Treysa. Donner
wetter, was warew das für kernige Menschen!
Seine Grübelei zeigte fich mal in einer Äuße
rung mir gegenüber. Ich begegnete ihm auf der
Dorfstraße, wo er unvermittelt mich fragte:
„Glaube' Sie an Gespenster?" und als ich ant
wortete: „Ihr seid wohl nicht recht gescheit
Meister" drehte er fich um mit den Worten:
„Dann glaube Se auch nit an Gott!" und ging
weiter. Alles Übersinnliche war für ihn eins.
Uber Gespenster, Gesichte haben und sich Melden
ferner Angehöriger in Not hatten die Männer
beim Malen vor der Kirche auch ab und zu ge
sprochen, besonders der alte Kalbfleisch, meist aber
unterhielten sie fich von ihrer Militärzeit und von
häuslichen Verhältnissen. Hätte jemand diese
Gespräche aufzeichnen können, so wären das aus
gezeichnete Beiträge zur Volkskunde gewesen.
Den alten Kalbfleisch, der 1911 achtundfiebzig-
jährig starb, habe ich verehrt und geliebt.
Der nächste links, vom Rücken gesehen, ist der
alte Joh. Heinr. Corell, er war Schwälmer
Butterhändler und hatte in jungen Jahren die
Butter noch auf dem Schubkarren nach dem 63
Kilometer entfernten Kassel auf den Wochen-
markt gefahren und in hohem Alter noch schwerste
Lasten Fallholz aus dem Walde nach Haus ge
tragen. Auch er hatte gegen Frankreich mitge
kämpft. Ein kraftvoller Mann von großer Ent
schiedenheit im seinem Wesen. Schon seinen
Vater hatte ich gemalt, wie später auch seinen
Enkel und einen Urenkel. Ich kenne die Familie
also in fünf Generationen.
Die Werkstatt
Prof. Bantzers
in Willings
hausen