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wir durchstreiften das Land von Heiligenstadt über
den Haustein, Allendorf a. Werra, Friedewald,
Hersfeld bis Schlitz, ohne etwas zu finden, was mir
vollkommen zugesagt hätte, während Wilhelm
bereit gewesen wäre, an jedem dieser Orte zu
bleiben. Er ließ mich aber nicht allein weiter
ziehen, und wir machten nun einen großen Sprung
bis Vvächtersbach, von wo aus wir die ganze Ge
gend, die auch mir sehr gut gefiel, zu erkunden
suchten.
Am besten gefiel es uns in dem hoch gelegenen
Töpferdorf Wittgenborn, am Fuße des Vogelsber
ges, und wir beschlossen dort längeren Aufenthalt
zu nehmen, zunächst aber noch einige Zeit in
Wächtersbach zu bleiben, wo Ritter Architektu
ren malen und zeichnen wollte. Wich selbst hielt
ein malerisches altes Häuschen in dem jenseits der
Kinzig gelegenen Dorf Aufenau fest, vor dem ich
in der Dämmerung einen ruhenden alten Mann
hatte fitzen sehen, der mit dem alten verfallenen
Häuschen ganz eins war. Das gefiel mir so gut,
daß ich ein kleines Bild davon malte. Nachdem
wir unsere Arbeiten im Tal beendet hatten, zogen
wir auf die Höhe. Ritter wohnte in dem an
einem der großen Weiher schön gelegenen Weiher
hof, ich selbst in Wittgenborn.
Dae weite Landschaft auf dieser Hochebene
war überall schön, in dem Dorf gab es malerische
Menschen unter den Töpfern, die an den heißen
Abenden jenes Sommers mit ihren Familien vor
den Häusern saßen und mir mancherlei Anregung
zu den von mir geliebten Feierabendsstimmungen
gaben. Zn 2Dittgenborn malte ich keinen
Feierabend, wohl aber in der eine knappe Stunde
von da entfernten TLaldenserniederlaffung 2Val-
densberg, wo ebenso wie in Aufenau ein einma
liger Eindruck mich zum Malen eines kleinen Bil-
veö veranlaßte. Behaglich ausruhend faß ein
fchwarzbärtiger Mann in blauer Zacke und mit
Holzschuhen auf einer kleinen Bank vor seinem
Häuschen und neben seinem umzäunten Gärtchen,
in welchem viele Feuerlilien blühten, die zusam
men mit dem Blau der Zacke einen feinen Klang
gaben. Außerdem malte ich einige Landschaften
aus TLald und Feld.
Wilhelm Ritter, der in seiner feinen Art al
les was er sah, künstlerisch und reizvoll zu gestal
ten wußte, trug seine Feldstaffelei immer nur
einige Schritte aus dem TVeiherhof heraus und
machte nach allen Seiten hin schönste Zeichnungen
und Oelstudien.
Als Ritter mit seiner Frau, die auch nach dem
Weiherhof gekommen war, wieder nach Dresden
zurückfuhr, zog es mich nach Willingshausen, das
mir nach dieser Abschweifung schöner als je vor
kam, und wo ich dann noch bis spät in den Herbst
blieb.
Zetzt und in den nächsten Zähren malte ich in
Willingshausen nur Landschaften, zum Teil mit
Figuren.
Erst 1896/97 malte ich dort wieder ein grö
ßeres Fignrenbild: Schwälmer Zugend beim
Tanz.
Zn Niederwalgern hatte ich einmal etwa 188z
einen Kirmesabend erlebt, der das Tollste an aus
gelassener Fröhlichkeit war, was man sich vor
stellen kann. Alles war in taumelnder Freude,
die Burschen warfen die leergetrunkenen Gläser
hoch in die Luft, so daß sie am Bretterfußboden
zerschellten, und in den Scherben stampften sie
dann tanzend, singend und juchzend herum. Die
Alten saßen trinkend und singend an ihren
Tischen und auf leeren Tischen und Bänken
standen die Kinder und sahen dem Schauspiel zu.
Auf einem Leiterwagen, der unter einem großen
Apfelbaum stand und über den zeltartig ein Wa
gentuch gespannt war, saß die Musik, aus der
die jubilierende Clarinette alles andere übertönte.
Hinter dem Ganzen baute sich das Dorf mit sei
ner hochgelegenen Kirche auf.
Dieses Erlebnis machte zwar einen sehr star
ken Eindruck auf mich, aber ich war zu jener
Zeit nicht in der Stimmung, einen solchen Vor
gang zu malen. Es ließ mich aber nicht los, und
als ich nach vielen Zähren mich imstande fühlte,
eine solche Fröhlichkeit innerlich selbst mitzuerleben,
wollte ich den Kirmeöabend malen.
Mein Arbeitsgebiet war inzwischen die
Schwalm geworden und ich hoffte dort auf den
Kirmessen etwas Ähnliches wie in Niederwalgern
zu erleben, aber vergeblich. Go viel Kirmessen
ich auch besuchte, nirgends sah ich etwas, was an
Niederwalgern erinnerte. An der Schwalm
ging alles ruhiger und in gemessenen Formen vor
sich, die vielleicht nur am Abend des dritten
Kirmestages etwas freier wurden.
Dagegen erlebte ich bei diesen Kirmesbesuchen
etwas Anderes. Wenn der „Schwälmer" ge
tanzt wurde, dieser alte aus mehreren Teilen be
stehende Tanz mit den lustigen Weisen, die
Freund Lewalter zum ersten Mal in Noten fest
gehalten hat, dann war der Tanzplatz wie ver
wandelt. Die Burschen juchzten und je nach
dem Teil des Tanzes schwenkten sie die Mädchen
in wirbelndem Tanz herum, daß die buntgesänm-
ten Röcke hoch aufflogen, oder folgten stampfend
und in die Hände klatschend dem tanzend sich
drehenden Mädchen, worauf noch einige andere
Formen des „Schwälmer" folgten. Die starken
Bewegungen des „Schwälmer" ergaben, beson-