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Eindrücke dort von Land und Leuten, denn mein
Vater, der Kreistierarzt in Ziegenhain war, be
kam nicht nur viel Besuch von Schwälmer
Bauern, die Rat suchten, und Schäfern, die er
unterrichten mußte, sondern er nahm mich auch,
sobald dies möglich war, sehr oft mit auf die
Fahrten seiner Praxis in die Schwalmdörfer.
Deutlich entsinne ich mich auch noch eines Tanz-
festes, vielleicht der „Salatkirmes", das auf dem
vor unserer Wohnung im „Steinernen Haus"
(in der Festung) gelegenen „Paradeplatz" abge
halten wurde. Ich lag gerade mit (Masern zu
Bett, der Lärm und die (Musik lockten mich aber
an das Fenster, von dem aus ich lange dem lusti
gen, bunten Treiben zusah. Zn meiner Erinne
rung leben die Burschen in weißen Kitteln und
roten Westen, die (Mädchen mit weißen Schürzen.
Das war der erste Eindruck einer später von mir
mehrfach gemalten Schwälmer Kirmes.
1863 zog meine 3Qs£uffer nach dem Tode meines
Vaters nach (Marburg, der Heimat meiner väter
lichen Vorfahren. Die Beziehungen zur Schwalm
wurden aber wieder lebendig, als 1866 ein
früherer Zögling meines Vater, Zohannes Kehl,
der in Berlin Tierarzneikunde studierte, mich ein
lud, in den Herbstferien ihn in Ascherode, wo sein
Vater Bürgermeister war, zu besuchen. Dort
wohnte ich zwar mit dem Johannes Kehl im
schönen neuen „Ellerhaus", nahm aber im übrigen
an dem Leben der Familie Kehl in Haus und Feld
teil, das ich dabei von Grund aus kennen lernte.
Besonderen Eindruck machte mir das Abendessen,
zu dem sich die Familie mit dem Gesinde um
einen großen Tisch in der Wohnstube versammelte.
Da wurde ein großer Haufen gequellter Kartof
feln auf den mit einem groben Leinen bedeckten
Tisch geschüttet, in dessen (Mitte ein riesiger Mapf
mit (Milch stand. Zeder schälte sich seine Kar
toffeln, die er aus der Hand aß und löffelte mit
der Rechten aus der gemeinsamen Schüssel die
(Milch. (Manchmal gab es auch Tuckefett zu den
Kartoffeln, die man dann an der Gabel in den
Tuckefettnapf tauchte. Am Schluß der Ferien
brachte mich der Bürgermeister Kehl zurück nach
(Marburg. Der große, stattliche (Mann trug noch
das lang über die Schultern herab hängende Haar,
scheute sich aber, dies in (Marburg zu zeigen und
legte es vor Antritt der Reise sorgsam unter der
Pelzmütze zusammen. Als wir in (Marburg vom
Bahnhof über die Lahnbrücke gingen, war feier
liches Geläute aller Glocken und bald sahen wir
ans allen Häusern schwarz-weiße Fahnen wehen.
Wir hörten, die Proklamation sei eben erfolgt.
Eö war die Proklamation der Annexion Kur-
hestens durch Preußen am 6. Oktober 1866.
Es folgte dann eine lange Reihe von Zähren,
in denen ich mit der Schwalm wenig in Berüh
rung kam. Das schöne (Marburg hielt mich fest
und, wenn ich zu etwas längerem Aufenthalt auf
das Land kam, so waren eö Besuche bei Ver
wandten oder Freunden in der Mähe (Marburgs
oder auch im Darmstädtischen Oberhessen, aus
dem meine (Mutter stammte. So blieb ich immer
in enger Beziehung zum ländlichen Leben, an dem
ich stets größte Freude hatte.
(Marburg selbst war in den sechziger Zähren
auch noch recht dörflich. Die Ackerbürger ließen
ihr Vieh noch auf die (Weide treiben, und heute
kann man eö sich kaum noch vorstellen, daß in sener
Zeit Kuhherden klatsch, klatsch durch die Bar
füßerstraße zogen. Bäuerliche Trachten, die
(Männer zum Teil noch im weißen, hemdartigen
Leinenkittel, mit Kniehosen und der Strumpbetzel
auf dem Kopf sah man sehr viel in der Stadt.
Durch solche Beziehungen kam es, daß ich später
als (Maler die Vorwürfe zu Bildern aus dem
ländlichen Leben zunächst in der Mähe (Marburgs
suchte.
Erst in den Zähren 1884 und 83 kam ich
wieder an die Schwalm, beide (Male nachdem ich
vorher in Miederwalgern mehrere Wochen zusam
men mit dem (Maler Wilh. Claudius aus Dres
den gearbeitet hatte. Wir nahmen in Treysa
Ouartier und gingen täglich zum (Malen nach
Ascherode.
Die malerische Tracht der (Männer war eö, die
mich wieder nach der Schwalm gezogen hatte.
Zetzt sah ich, wie sehr Kleider- und Haartracht
geeignet sind, die Schönheit eines (Menschen
schlages zur Geltung zu bringen. Kraftvolle
(Männer mit markigen Köpfen fand ich auch im
Kreise (Marburg, aber wieviel stärker wirkt eine
solche Erscheinung in der Tracht der Schwälmer.
Das Gesicht glatt rasiert, das Haar ganz lang
oder auch halblang, wie bei Holbeinschen Köpfen,
darüber am Werktag die alte „Bromkapp" oder
das abgetragene graue Hütchen mit malerisch
herunterhängender Krämpe, der lange, blaue Kittel,
der im Sommer bei der Arbeit abgelegt wird, so
daß der (Mann dasteht in Hemdärmeln mit blauer,
reichverzierter und mit gemusterten goldnen
Knöpfen, geschmückten Weste, der weißen Knie
hose und dunkelblauen Strümpfen oder weißen
Gamaschen. Zst eö heiß, so wird auch die Weste
ausgezogen, und nnn sehen wir den (Mann ganz
in (Weiß in einer Kleidung, welche die Körper
formen voll zur Erscheinung bringt.
Fast noch mehr als diese Arbeitskleidung bringt
die Tracht für Kirchgang und für kirchliche und
weltliche Feste zum Ausdruck, welchem Zweck sie