Den wissenschaftlichen Ilnterhaltungsabend am
4 - Dez. 1933 eröffnete Zolldirektor W 0 ringer und
begrüßte außer den erschienenen Mitgliedern und
Gästen besonders noch den Vorstand des Bürgervereins
Rothenditmold. — Dann erhielt Volkswirt Bruno
Jacob das Wort. Ausgehend von der Tatsache, daß
der Vorort Rothenditmold von vielen Kasse-
lanern kaum gekannt sei, zeichnete er die Geschichte
des einstigen Dorfes. Es ist eine Aussiedelung der
alten Muttergemeinde Kirchditmold, deren Mark einst
nicht nur einen breiten Teil des westlichen Kasseler
Beckens, sondern auch den Habichtswald umfaßte. Im
12. Jahrhundert entstanden außer dem Kloster Weißen
stein die Dörfer Wehlheiden, Wahlershausen, Harles
hausen und Rothenditmold. Dieses als das jüngste,
das wohl um 1200 durch Anlage eines Hofes der Fa
milie von Ditmelle entstand. Aber erst mit dem Be
ginne des ich Jahrhunderts sehen wir hier eine selb
ständige Dorfgemeinde, die mit ihren Liegenschaften im
15. Jahrhundert fast völlig in den Händen der nahen
Klöster und Stifter ist. Im 13. Jahrhundert erfahren
wir dann von Weinbau am Rothenberg und seit dieser
Zeit sind uns auch einige Namen von Bewohnern über
kommen. — Nach der Reformation, die vornehmlich
die Landesherrschaft, aber auch einige Adelsgeschlechter,
wie die von Scholley, zu Obereignern im Dorfe werden
ließ, ist Rothenditmold im ökonomischen Staat L.
Wilhelms IV. mit 12 Haushaltungen, also höchstens
60—70 Köpfen, angegeben. 1394 wird auch eine Ka
pelle gebaut, die inmitten des alten Dorfes noch heute
steht, leider aber entwürdigt ist. Im 30jährigen Kriege
war das Dorf durch die Nähe der Festung Kassel ge
schützt, in den Tagen des Landgrafen Karl wurde die
Flur zuerst vermessen und die Grenzbegänge von Kassel
bringen auch einiges Licht in die Dorfverhältnifse. In
dieser Zeit auch entsteht die Mühle an der Angersbach,
die aber um die Mitte des 18. Jahrhunderts erst
Schleifmühle wird und dann völlig untergeht. Der Sie
benjährige Krieg brachte schwere Leiden für das Dorf,
das namentlich bei der zweiten Belagerung von Kassel,
1762, zwischen dem Feuer der Reisberger Schanze und
dem der Belagerungsbatterie auf dem Rothenberg lag
und von den Laufgräben durchschnitten ward. Nach
dem mißglückten Sturm auf den Reisberg wurden etwa
80 Mann auf dem Hofe der Kapelle begraben. —
War 1735 etwa die Wolfhager Straße durch das
Dorf zur Poststraße ausgebaut, so wurde seine Flur
um die Mitte des 19. Jahrhunderts beeinträchtigt
durch den Bau der Eisenbahnen. Ilm diese Zeit taucht
auch der Eisenbahnbeamte unter den Bewohnern des
Ortes auf. 1871 entsteht in Verbindung mit dem IIn-
terstadtbahnhof die Hammerschmiede von Henschel,
1882 die Waggonfabrik Wegmann und die Jutespin-
nerei, während noch etwas später an der Grenze der
Kasseler Gemarkung die Schöfferhofbrauerei errichtet
wurde. 1897/98 kam nach langen Verhandlungen die
neue Straßenbrücke der Wolfhager Straße zustande,
um die gleiche Zeit wurde Rothenditmold auch als
kirchliche Gemeinde selbständig und erhielt im ersten
Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auch die katholische
S. Josephskirche und das Marienkrankenhaug. Am
1. April 1906 wurde der nun sehr stark gewachsene
Ort eingemeindet und in jüngster Zeit erfolgten um
fassende Straßen- und Wohnanlagen. Die erste groß
zügige industrielle Wohnpolitik war durch Henschel L
Sohn eingeleitet worden.
In der anschließenden Diskussion gedachte Gustav
Wentzell der Brüder Wimmel, die aus R. stammen
und Pfarrer Becker erwähnte, daß er unlängst nähere
Angaben über den Bau der Kapelle entdeckte.
Zolldirektor W 0 r i n g e r , der dann sprach, knüpfte
au den Ausflug an, der im August bei der Hauptver
sammlung von Eschwege aus unternommen war. Er be
handelte die Familie von Capello in Lüderbach,
die dort etwa 180 Jahre ansässig gewesen ist. Sie stammt
aus Österreich, wo sie in Luftenseld beheimatet war. Ein
Heinrich von C. kommt ums Jahr 1500 als erster
Vertreter der Familie vor, ums Jahr 1600 findet sich
dann dag Geschlecht in hessischen Diensten. Wahr
scheinlich waren es die Religionskämpfe der Gegen
reformation, die die Familie nach Hessen gebracht.
Johann Wilhelm von C. erscheint um 1620 als Kapi
tän einer der sechs alten Reiterkompagnien der Arke-
busfier-Reiter, mit denen er in dieser Zeit die Diemel-
pässe zu bewachen hat. Es wurde ihm auch Anteil
an der Ermordung eines bayerischen Offiziers von
Thüngen zu Kirchditmold zugeschrieben, doch reinigte
er sich von diesem Vorwürfe. In Langenthal bei Hel-
marshausen befreite er eine Anzahl Frauen und Mäd
chen aus den Händen liguiftischer Soldateska und hielt
Standgericht über einige der Schänder. Durch seine
erste Ehe mit Christine Schesser wurde der Genannte
Besitzer zu Lüderbach, welches Dorf zuerst 1193 er
wähnt wird, dann Hersfeldisches Lehen, Besitz der
Treuschc von Buttlar und das Gut zuletzt Besitz des
Rates Scheffer ward. — In zweiter Ehe war Johann
Wilhelm von C. mit einer Tochter des Kanzlers Lers-
ner, Katharina Ursula, verehelicht, die ihren am 29.
Februar 1660 verstorbenen Gatten noch um 28 Jahre
überlebte. Reinhard Ludwig von Capello zu Lüderbach
setzte als Einziger unter sieben Geschwistern das Ge
schlecht fort; er war verheiratet mit Helene von Peters-
wald aus Hersfeld, die ihm drei Kinder schenkte. Der
älteste dieser, Christian Ludwig, Kapitän in hollän
dischen Diensten, setzte allein das Geschlecht fort, er
hatte 8 Kinder, die aber alle ohne Nachkommen ge
storben sind. Ein der Gemeinde Lüderbach bestimmtes
Vermächtnis verpflichtete diese zur Erhaltung des
Grabdenkmals, das noch heute im Stande gehalten
wird. Der berühmteste unter den erwähnten 8 Kin
dern war Wilhelm Ludwig, der von 1717 bis zu sei
nem Tode im Mai 1738 in hessischen Heeresdiensten
stand und zu Havixbeke bei Münster i. W. starb und
begraben ward. Mit Adam Friedrich von E. erlosch
am 23. Juni 1779 das Geschlecht. Dieser war Gene
ralmajor in Hessen-Darmstadt und Obervorsteher der
Samt-Hospitalien. — Höheren Kunstwert als die
Grabpyramide derer von Capello aber besitzt ein
Schnitzaltar in der Kirche des Dorfes, auf den Redner
noch hinwies.
Anschließend machte Fräulein Schesser noch einige
Mitteilungen über den Besitz ihres Hauses zu Lüder
bach und auch Pfarrer Becker ergänzte die Nachrichten
über Dorf und Denkmal, Volkswirt Jacob wies auf
die Mühle im Dorfe hin, die mit ihrem Werke eines
der besterhaltenen technischen Denkmäler ist.
Zum Schlüsse wies Zolldirektor Woringer noch auf
einige Neuerscheinungen der Heimatliteratur, namentlich
den Hessischen Burgenkalender von Dr.
Hopf und Baurat Textor hin, weiter aus die Geschichte
Marburgs von Prof. Kürschner. Gerade der Ka
lender ist als Ergänzung der Burgenfahrten unseres
Vereins eine Publikation von Wichtigkeit, die das erste
Stück einer längeren Reihe von Veröffentlichungen sein
soll. Gegen ài Ilhr wurde dann der schöne Abend
geschlossen.
Verantwortlicher Schriftleiter: Lothar Schneider, Marburg a. L. / Verlag und Druck: 0 r. C. Hitzcroth, Marburg a. L.
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