Full text: Hessenland (45.1934)

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HefjenlanH 
Monatsschrift für Landes- und Volkskunde, Kunst und Literatur Hessens 
Herausgeber Dr. C. Hitzeroth, Marburg a. Markt ¡21/23/24, Fernspr. 2034 und 2055. 
Enthaltend zugleich die „Mitteilungen" des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde. 
4 Z.Mrgong. M 11/12. Marburg. November /Nezember im 
Hessens Land und Leute in der deutschen Malerei. 
(Nachdruck auch auszugsweise verboten.) 
IX. 
Im Jahre 1696 war ich als Lehrer an die 
Kgl. Kunstakademie in Dresden berufen worden 
mit dem besonderen Aufträge, im Sommer meine 
Schüler Studien und Bilder auf dem Lande, und 
zwar so viel als möglich, im Freien malen zu 
lassen. 
Die Schönheit des Lichtes und der Luft, welche 
im Freien alle Gegenstände umfluten, hatte schon 
zu Anfang des vorigen Jahrhunderts einige Nasa 
ler zur Darstellung gereizt, aber erst in den 80er 
Jahren erwachte allgemein die Sehnsucht nach 
Licht und Luft, nach Gesundung in der Malerei, 
wie auch in der ganzen Lebensweise. 
Ein Gefühl der Befreiung von dem Gefesselt 
sein an das Atelierlicht, ein Aufjauchzen zu neuem 
frischen Leben beseligte die jüngeren Künstler. 
Das Spiel des Lichtes und der Luft stellte nicht 
nur Probleme der Farbengebung, sondern gab 
auch die Nloglichkeit, besonderen Stimmungen 
verstärkten Ausdruck zu verleihen. 
Diesem Drange der Zeit wollten auch die 
Kunstakademien Rechnung tragen und schickten 
die Schüler zum Malen in die freie Natur. 
Bis zum Jahre 1900 zog ich mit meinen 
Schülern im Frühjahr in Sachsen auf das Land, 
in den großen Ferien aber ging ich nach meinem 
alten Studienplatz Willingshausen, wohin mich 
auch einige Schüler begleiteten. Bon 1901 an 
nahm ich, da mir die Wahl des Studienortes 
freigelassen war, alle Schüler schon im Frühling 
mit nach Hessen, zuerst 1901 nach Dörnberg, 
dann bis zum Ende meiner Lehrtätigkeit in Dres 
den Herbji 19r8 nach Willingshausen, wo wir 
ftetö bis Ende Oktober blieben, mit Ausnahme des 
Von Carl Bantzer. 
Jahres 1906, in welchem wir die drei ersten 
Monate in Kleinsassen i. d. Rhön arbeiteten. 
Auf diese Weise sind weit über hundert junge 
Künstler, in manchem Sommer waren es mehr als 
zwanzig, durch Willingshausen gegangen, von 
denen viele nicht nur Studien, sondern auch Bil 
der malten. Es war natürlich, daß diese Schüler 
schar, die nicht nur Sachsen entstammte, son 
dern allen Teilen Nord- und Mitteldeutschlands, 
Deutsch-Böhmens und auch dem Ausland, und 
die nicht aus eigenem Antrieb nach Willingshau 
sen gekommen war, nicht ohne weiteres hier festen 
Fuß fassen würde. Begeistert waren Alle von 
der urwüchsigen Eigenart der Menschen und ihrer 
farbigen Tracht, von den malerischen Dorfgassen 
mit Höfen, in deren Häusern, Scheunen und 
Ställen alles zum Malen reizte, und von der 
Schönheit der Landschaft in Wald und Feld. 
And das alles malten sie auch. So entwickelte 
sich denn in jedem Jahr aufö neue neben der Tä 
tigkeit der älteren Maler ein ungemein reges 
künstlerisches Leben der jungen in ^Willingshausen 
und Umgegend, dessen Erlöschen von der Einwoh 
nerschaft sehr bedauert wird. „Lag" doch die 
Mehrzahl der „Lehrlinge", wie sie vielfach von 
den Bauern genannt wurden, obwohl verschiedene, 
die früher einen anderen Beruf gehabt hatten, 
schon in der dreißiger Jahren waren, bei Bauern 
„im Quartier", mit denen sie im freundschaftlich 
sten Verkehr standen und denen sie gelegentlich auch 
bei der Arbeit, besonders dem Heumachen, halfen. 
Während an den Vormittagen die meisten 
Schüler nach einem gemeinsamen Nlodell im 
Freien oder bei Regen im Haaseschen und im 
Völkerschen Gaal arbeiteten — nur wenige mal-
	        

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